Verena Güntner „Es bringen“

Eine Hochhaussiedlung, ein Jungstrupp. Langeweile und in den Familien Schweigen. Das Übliche.

“Die Jungs lehnen am Bauzaun. Ich laufe langsamer und setze mein geschmeidigstes Lächeln auf, ziehe am Reißverschluss meiner Jacke, halte sie auf und lass den Wind rein, drehe ein, zwei Kurven. ‘Hab sie gefickt’, rufe ich, ‘schöne Stöße’. Die Jungs grölen. Milan hält die Hand auf. ‘Kohle her’, sagt er.”

Fickwetten, na klar. Doch Güntner umschifft stilsicher die Klippe des Klischeemilieus (und ihres schief poetischen Einstiegs: da flattert dem „Sonnenuntergangsasthmatiker“ Luis ein Vogel in der Brust, bis er innen ganz blutig ist – aber das sei dem Ich-Erzähler verziehen). Der Jugendslang swingt. Ganz nah ist sie dran an ihrem Protagonisten, der immer mehr Tiefe gewinnt, aus dem die aufgestaute Zärtlichkeit, das kindlich Spielerische herausplatzen, lebensvoll.

“‘Ich hab Wurstbrei im Mund’, sage ich laut und muss lachen. ‘Ich hab Wurstbrei im Mund!’, brülle ich und es spritzt ordentlich. ‘Mein Mund hat einen Orgasmus’, ich breite die Arme aus. ‘Mein Mund kommt voll’, kreische ich der Stadt entgegen. Und sie antwortet mir wie immer: ‘Luis’, jault es aus den Motoren der Autos, ‘I love you too’.”

Und dann ist da noch der Konflikt: ödipal. Für Luis ist die Mutter unerreichbar, aber sein Kumpel Milan darf mit ihr vögeln. Die Mutter als Heilige und als Hure? Auch für diese Platitüde findet Güntner einen ganz eigenen, stimmigen Ton.

“’Bis später und vögel nicht wieder den ganzen Tag rum, du Vogel!’, sagt sie, ohne sich nochmal umzudrehen. Die Tür fällt krachend ins Schloss und ich mache eine kleine Verbeugung. Diese Frau gilt es zu schlagen, verehrte Damen, diese Frau in allen Frauen, die ich ficke, bis sie schwarz werden.”

Luis würde zuschlagen, wäre Milan nicht schneller. Doch das Motto lautet “Vorwärts”, und Güntner gönnt Luis in dieser zugewandten Coming-of-Age-Geschichte einen starken, erwachsenen Abgang.

“Nach einer Weile steht auch Milan auf. Unentschlossen sieht er an sich runter. ‘Ach deshalb’, sagt er halblaut und so, als wäre er allein. Er zieht die Hose aus und richtig herum wieder an. Seine Beine leuchten blass wie der Mond oder wie im Strobo. Als er fertig ist, geht er einen Schritt, stoppt, geht zwei weitere und bleibt schließlich neben mir stehen. Wir starren beide geradeaus. Eine Sternschnuppe hat ihren Auftritt. ‘Lass uns gehen’, sage ich.”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

2 Gedanken zu “Verena Güntner „Es bringen“”