Thomas Dörschel „Kleine Gesten“

Es gibt erste Sätze, von denen erhole ich mich nur schwer.

„Hendrik kam wie immer eine halbe Stunde zu spät.“

Da möchte ich schon gar nicht mehr mitkommen in diese Wohnung, in der ein kleines Unglück zuhause ist, das nun in all seinen schmerzlichen wie auch banalen Facetten ausgebreitet, seziert werden soll. Denn es ist Geburtstag, Ehefrau Jana wird 33 und hat ihren Jugendfreund Hendrik eingeladen, der Ich-Erzähler hat sich die Schürze angezogen und mit ihr einen beleidigten Unterton, der Gast wird mit dem Küchenmesser in der Hand begrüßt. Eine der kleinen Gesten, um die es geht in diesem Text, die zufälligen und die auffälligen Zeichen, die in der Luft liegen, im Wetter, in Blick, im Essen – zumindest Rückblickend scheint es dem Erzähler, als wären sie überall schon gewesen, an diesem schicksalsträchtigen Abend, nach dem alles anders war.

„Hendrik war inzwischen in die Küche gekommen. Er beugte sich über die Pfanne mit den Pilzen und fächerte sich den Dampf in die Nase. Er atmete tief ein, dann legte er mir seine Hand auf die Schulter und sagte »Toll«, mehr sagte er nicht.“

Es wird angerichtet, und alles liegt auf dem Tisch. Die „Kleinen Gesten“ sind im Titel des Textes ausgestellt, der Hintergrund, wie diese zu lesen sind, wird gewissenhaft mitgeliefert. Die Ehe wird in die Brüche gehen. Das ist so deutlich, dass es mir irgendwann dann doch wieder Spaß macht, wenn aus dem Raunen ein Schreien wird, ein expressiver Ausdruckstanz.

„Sie genoss es, in unserer Mitte ihren Körper zu bewegen und uns beide, Hendrik und mich, mit ihren Fingerspitzen auf die Brust zu stupsen. Laut sang sie Oh no, not I. I will survive as long as I know how to love.

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