Vorgestellt, aber selbst noch nicht gelesen #3, Edition Korrespondenzen

Noch kamen wir nicht dazu, all die Bücher zu lesen, die gerade um uns herum erscheinen. Trotzdem wollen wir Euch in den nächsten Tagen einige vorstellen, von denen wir denken, sie sind gut, interessant und es wert, dass wir sie alle lesen. Wir verlassen uns dabei ganz auf unseren Instinkt und die Verlagsprosa.

@tesla42.de
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Heute: Edition Korrespondenzen

VERSATORIUM und Peter Waterhouse präsentieren als ersten Titel der VERSATORIUM-Reihe

Charles Bernstein; Gedichte und Übersetzungen
Aus dem US-Amerikanischen von VERSATORIUM und Peter Waterhouse

Was sagt der Verlag?
     
  SONNENUNTERGANG AM QUAQUAVERSAL POINTSo den Übergang finden im Springen über zersetzende Reime

Wie Schlangen den Bauch ummanteln mit unbewusstem
Wurm-Neid auf Tellern, die ihre Beeren und Bären verkuppeln,
Die pinke Runde beehren. Noch eine Wunde

Und die Welle die geht auf umverbend selbstabwehrendes

Kinn durch Spannungsgebläse, vier für fünf-
Fünfzig, leih mir einen Lippenhalter. Ach geh, ich
Soll dich wieder holen, später, und jetzt

Geh der Gedankenlosigkeit nach, noch ein Takt.

Am Ende des Tages formen die stehengelassenen
Kluppen einen Bogen um den Graben bis der Hahn
Mit den Spottdrosseln kommt. Danach

Füll den Luftballonen die lustigen Nomen ein und ich will

Ihn nehmen mit meiner Linken und verlieren mit meiner
Rechten. Sammle, dann binde, den Bären in den Nord-
Wind, mit Überdruss doch mutigem Impetus. Beende

Schwinde – mit Schwindel & Pangasius & Prügel, mit

Spore & mit Speer, dann nie mehr. Es ist über &
Über & dann nicht, wenn du nicht –
Nur manchmal, mit Vorsicht – wenn du sagst

Nie, und ihn, und nie und innen wieder

Wendest.

 

Das Gedicht soll nicht wie ein Weg sein, den entlang der Leser gelenkt wird, sondern eher wie ein Garten oder Urwald, in dem jeder Leser seinen eigenen Weg immer wieder neu suchen kann. Entsprechend diesem Grundsatz spielen Bernsteins Gedichte mit einer Vielzahl von möglichen Sprachen und Wortabzweigungen. Ganz im Sinne von John Cages »Ziel ist nicht ein Ziel zu haben« soll nicht die Bedeutung, sondern die Bewegung, das Sich-Bewegen im Zentrum stehen. Mit sprachlicher Gewitztheit brechen diese Gedichte in alle Richtungen aus, bewegen sich an Formrändern und -übergängen, ziehen als Gedichtessays und Essaygedichte voller Antwortbereitschaft den Leser hinein ins Fragen.
Doch wie kann man ein solch offenes Werk übersetzen? Wie ist ein so schwer festlegbares Programm, wie sind seine poetischen politischen Schnittstellen auch auf Deutsch zum Leuchten zu bringen? Über zwei Jahre lang hat sich VERSATORIUM mit dieser Frage auseinandergesetzt. Die Ergebnisse liegen nun in Form eines breit angelegten Auswahlbands zu Charles Bernstein vor. Ein wunderbar vielfältiges Spiel der Stimmen, das nun endlich auch im deutschen Sprachraum entdeckt werden kann.

Charles Bernstein, geboren 1950 in New York City, ist Begründer und einer der prominentesten Vertreter der US-amerikanischen l=a=n=g=u=a=g=e poetry, Theore­tiker, Herausgeber und Literaturwissenschaftler. Bernstein hat den Donald T. Regan Lehrstuhl im Fachbereich Englisch an der University of Pennsylvania inne. Über 20 Buchveröffentlichungen liegen vor.

VERSATORIUM, ein Projekt junger WissenschaftlerInnen und ÜbersetzerInnen, erforscht, diskutiert und übersetzt Gedichte und theoretische, übersetzungskritische Schriften aus dem Kreis oder weiteren Umkreis der US-amerikanischen l=a=n=g=u=a=g=e poetry. In ein- bis zweijährlichen Abständen werden die Ergebnisse in der VERSATORIUM-­Reihe publiziert. Das Projekt, assoziiert mit dem Institut für Komparatistik der Universität Wien, unterstützt vom Literarischen Quartier / Alte Schmiede in Wien, der Literaturzeitschrift Schreibheft in Essen und der Tageszeitung Der Standard, ist auf Initiative von Peter Waterhouse entstanden.

+

Tatjana Gromača: Eines Tages

Kurzroman
Aus dem Kroatischen von Fabjan Hafner

Was sagt der Verlag? 

     
  4.
Hier und da ließen die Fabrikarbeiter auch etwas mitgehen. Manchmal wickelten sie Draht um ihren Körper, von der Hüfte aufwärts bis zu den Achseln. Darüber zogen sie Wintermäntel oder Jacken an. Sie gingen an der Pförtnerloge vorbei, in der der Sicherheitsbeamte saß, der nichts mitbekam. Die Fabrikarbeiter ließen den Draht nicht mitgehen, weil sie nicht genug Geld gehabt hätten, um ihn zu kaufen, sondern weil sie sich wenigstens für ein paar Augenblicke besser fühlen wollten als sonst.
5.
Mama hatte ein Kästchen voller Halsketten. Sie trug sie nur selten. Meistens lagen sie zu kleinen runden Nestern zusammengerollt da als Beweis, dass sie früher, als junges Mädchen, ein anderes Leben gehabt hatte. In jenem Leben hatte Mama die Halsketten aus dem Kästchen genommen, sie um den Hals gelegt und sich im Spiegel betrachtet. Jetzt versteckte sie sie, wie die Arbeiter den Draht. Nur selten erlaubte sie mir, eine um den Hals zu legen. Wenn Vater von der Arbeit zurückkehrte, musste ich sie schnell abnehmen und schleunigst ins Zimmer zurückbringen, wo sie wieder zusammengerollt unter dem Deckel des Kästchens lagen.
 

 

»Der Krieg hat mir die schönsten Jahre des Lebens kaputt gemacht und zugleich geholfen, schneller zu lernen, wer ich selbst bin.« Was Tatjana Gromača in einem Interview über sich selbst sagt, trifft auch ins Zentrum ihres gefeierten Roman-Debüts Eines Tages. In 138 Kurzkapiteln begleiten wir die Heldin von der Kindheit auf dem Land bis zur jungen, erwachsenen Frau in der Stadt. Dabei schauen wir durch ihre Augen auf die Welt und wachsen mit ihr mit.
Der naive, aber unverstellt scharfe Kinderblick fasst den Alltag der Familie und des Dorfes in präzise, poetische Bilder, in welchen sich die Sehnsüchte der Heldin, die kurzen Momente des Glücks wie auch der geisttötende Charakter ihrer autoritären Umgebung spiegeln. Erst mit dem in der Ferne ausbrechenden Krieg, der das Dorf spaltet und ihre serbisch-­kroatische Familie auseinanderreißt, erfolgt eine rasche Reifung vom Mädchen zur Schülerin, Geliebten, Studentin und führt die junge Frau in die Stadt. Hier werden die Absurditäten der Erwachsenenwelt nun bewusst wahrgenommen, Bürokratie, politische und nationale Dummheiten reflektiert und wo möglich Widerstand geleistet, während die eigene Haltlosigkeit in der Gesellschaft und die Flucht in ein exzessives Studentenleben sie zunehmend an den Rand der Gesellschaft drängen.
Schonungslos, aber mit Humor und Sympathie für ihre Figuren, erzählt Gromača in einfacher, kristalliner Sprache von der abhanden gekommenen Zärtlichkeit und der Sehnsucht nach ihr.

»Tatjana Gromača nimmt die Wirklichkeit detailgenau in den Blick, fasst mit knappen Sätzen nach den Rätseln des Alltags und verwandelt diese wie nebenbei in Poesie. In einem nach wie vor ideologisierten Umfeld gleicht ihre Pathosabstinenz einer kleinen Sensation. Gromača ist die unbeirrteste Stimme der jungen kroatischen Literatur.« Ilma Rakusa

Tatjana Gromača, geboren 1971 in Sisak (Kroatien), lebt in Istrien. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Zagreb. Seit 2000 arbeitet sie als Journalistin und schrieb jahrelang Artikel für die legendäre politisch-satirische Wochenzeitung »Feral Tribune«. Seit 2008 ist sie Kulturkolumnistin für die Tageszeitung »Novi list«.
Ihr schmales, aber bereits mit vielen Preisen ausgezeichnetes Werk umfasst zwei Romane, einen Gedichtband und einen dokumentarischen Prosaband. Auf Deutsch erschien eine Auswahl ihrer Gedichte unter dem Titel Stimmt was nicht? in der Edition Thanhäuser.

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