„SICH UND SEINE STIMME NICHT AUS DEN AUGEN VERLIEREN“. Zwei Interviews mit Katharina Hartwell.

Heute Abend geht es zu ocelot, not just another bookstore. Dort ließt Katharina Hartwell aus „Das fremde Meer“. Vor ein paar Wochen erschienen – und alle scheinen sich einig:

»Katharina Hartwells Roman ist eine atemberaubend sicher erzählte Verwirbelung der klassischen Motive der Literatur: Liebe, Angst und Tod. Berührend einfach, grandios komponiert, von sprühender Intensität. Ich bin berauscht.«
Antje Rávic Strubel

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2011 war Katharina Hartwell Finalistin des open mike. Die Kollegen der Crespo Foundation haben sie im Anschluss an den Workshop des open mike zum Interview gebeten.

Katharina Hartwell, Autorin, zu ihrer Teilnahme am open mike Workshop 

»Ich arbeite gerade an einem sehr umfangreichen Projekt, aus dem ich einen Teil mit zu dem Workshop nahm. Ich habe es als sehr hilfreich und motivierend empfunden, gleich drei Rückmeldungen zu dem Romanauszug zu bekommen. Jeder der drei hatte einen anderen Blick auf den Text, fand andere mögliche Problemstellen. Besonders spannend für mich war es festzustellen: Oft wird das, was manche LektorInnen oder AutorInnen als mögliches Problem sehen, an anderer Stelle ‚durchgewunken‘ oder sogar gelobt. Mir wurde noch einmal sehr deutlich klar, wie wichtig es ist, Änderungsvorschläge mit der eigenen Überzeugung und Lesart abzugleichen. Man soll und muss Kritik umsetzen und die eigene Arbeit verändern und verbessern zu können, aber es ist auch wichtig, auf die eigene Stimme zu hören.«

Können Sie uns kurz beschreiben, mit welchen Erwartungen Sie zum Workshop kamen?

»Ich habe mich sehr darauf gefreut, weil ich wusste, dass die Besprechung in Einzelgesprächen stattfand. Ich habe in anderen Werkstätten und am Literaturinstitut hauptsächlich in der Gruppe Texte besprochen und war sehr gespannt auf die Einzelgespräche. Sie waren genau so ergiebig, wie ich es mir erhofft hatte. Ich habe mit zwei Lektoren gearbeitet, die beide sehr sachlich und detailliert mit mir über den Text sprachen. Es ging vor allem um Feinheiten. Genau so war es mit der einzigen Autorin unter den dreien – Katja Lange-Müller – die ebenfalls mit einem sehr mikroskopischen Blick meinen Text besprach. In den drei Stunden wurde mein Blick für vieles geschärft, was ich bei der eigenen Überarbeitung immer wieder übersehen hatte.«

Bekamen Sie dabei einen Tipp, der Ihnen besonders in Erinnerung bleiben wird?

»Nein, dafür war es zu wenig allgemein und zu spezifisch. Also es ging gar nicht um Dinge, die ich allgemein ändern sollte, sondern das war eher auf der Ebene: Hier würde ich ein „doch“ und kein „aber“ benutzen. Also, mir bleibt kein Tipp im Gedächtnis, aber so ein Gefühl. Dass mich sehr beeindruckt hat, wie schnell die Tutoren sprachliche Ungenauigkeiten entdeckten, oder Formulierungen, die nur einige Millimeter an dem vorbeigingen, was ich eigentlich sagen wollte. Während ich bis zu zwanzig Mal genau diese Stellen überlesen hatte, und mir die Ausrutscher nicht aufgefallen sind. Das spukt mir immer noch sehr im Kopf herum, aber auf eine gute Weise: Dass man immer wieder zurücktreten und sich vom eigenen Text entfremden muss, die Sachen nicht hinnehmen, sondern immer wieder in Frage stellen. Sollte dieses Wort da stehen? Will ich das wirklich mit genau diesem Verb sagen? Braucht man diese Information hier überhaupt? Das ist schwer, denn der Impuls ist ja eigentlich, dass man etwas abschließen, etwas fertigstellen möchte. Ich erliege gerne mal der Versuchung, es mir dann zu leicht zu machen. Der Workshop hat meinen Blick aber definitiv wieder geschärft.«

Was für einen Rat würden Sie selbst einem jungen Autor geben, der an der Schwelle zur Professionalisierung steht? 
Schwierig! Es gibt unendlich viele strategische Ratschläge. Wie man am besten vorgeht, welche Werkstätten und Wettbewerbe und Literaturzeitschriften wichtig sind, ob man ans Literaturinstitut gehen sollte oder nicht. Aber das ist alles bloß sekundär. Auf mich prasselt gerade soviel ein, die erste eigene Veröffentlichung, das Studium am Literaturinstitut, Auseinandersetzungen und Diskussionen mit anderen Schreibenden und so weiter. Mein Rat an andere wäre der, den ich mir in dem Chaos selbst gebe: Man muss sich klar machen, dass es um nichts davon eigentlich geht, um sich nicht selbst zu verlieren. Die Gefahr ist, dass man über die Fragen des Publizierens und Wahrgenommen Werdens, das Schreiben vergisst. Das, worum es geht, ist die Arbeit am Schreibtisch. Und die ist oft mühselig und manchmal sogar sehr langweilig. Direkt nachdem ich die Arbeit an meinem ersten Erzählband abgeschlossen hatte, begann ich mit der Arbeit an dem Romanprojekt. Seit vier Monaten arbeite ich jeden Tag mehrere Stunden daran. Ich weiß, dass noch eine lange Zeit intensiven Arbeitens vor mir liegt. Man muss sich die Dringlichkeit und das unbedingt Wollen bewahren, nicht vergessen, was man sagen will und warum. Ich weiß nicht, wie man sonst die notwendige Disziplin aufbringen kann, um auch über längere Strecken zu schreiben. Also das wäre dann wohl mein Rat: Sich und seine Stimme nicht aus den Augen zu verlieren…«

Das Interview erschien zuerst auf der Seite der Crespo Foundation.

Ein weiteres Interview mit Katharina Hartwell hat Nadja Schlüter für jetzt.de geführt: Erzählen bedeutet, Dinge in den Griff zu bekommen. 

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