Zwei Lektoren im Gespräch

Die Arbeit von Lektoren findet häufig im Hintergrund statt, doch ohne ihre Arbeit würde es die Bücher, so wie wir sie in den Händen halten, wohl nicht geben. Lektoren sitzen an der Schnittstelle zwischen Autor und Produktion und sind diejenigen im Verlag, die als erste ein neues Manuskript lesen. Viele dieser Manuskripte werden übrigens unverlangt eingesendet, ob das wirklich eine gute Idee ist, habe ich im Gespräch mit zwei Lektoren versucht herauszufinden. Mit beiden habe ich über ihre Arbeit als Lektor gesprochen und darüber, wann man erkennt, dass ein Manuskript ein gutes Manuskript ist.

Olaf Petersenn ist seit mehr als zehn Jahren Lektor im Kiepenheuer & Witsch Verlag. Beim diesjährigen open mike war er nicht nur als Jäger von neuen Autoren, sondern vor allem als Lektor von Verena Güntner, die im Vorfeld des open mikes aus ihrem Debütroman las.

 


 

Hans Jürgen Balmes arbeitet seit mehr als dreißig Jahren als Lektor und hat darüber hinaus ein großes Interesse an der Lyrik. Es ist also kein Zufall, dass er dieses Jahr die Betreuung der Lyriker und Lyrikerinnen übernommen hat.

Mara Giese: Sie arbeiten seit fast dreißig Jahren als Lektor, wie entdecken Sie neue Autoren?

Hans Jürgen Balmes: Einfach durch’s Lesen. Ich glaube, es gibt heutzutage ganz viele Mechanismen – die Agenten, die Literaturzeitungen, die Buchmessen, die Kollegen, die Scouts – so dass man überall immer wieder Hinweise bekommt. Letztlich geht es aber natürlich darum, herauszufinden, mit welchen Texten kann man arbeiten, mit welchen Texten kann der Verlag am besten arbeiten und wo sieht man die meisten Möglichkeiten und das größte Entwicklungspotential für Autoren. Wenn das alles passt, dann müssen wir es machen.

Mara Giese: Gibt es einen Moment, in dem Sie wissen, dass ein Text ein guter Text ist?

Hans Jürgen Balmes: Früher nannte ich das immer den Rödelheim-Moment. Wenn ich vom Verlag aus losgefahren bin und bis Rödelheim drangeblieben bin, dann habe ich ein Manuskript auch zu Ende gelesen. Das war eine Fahrt von zwanzig Minuten und wenn der Text mich so lange fesseln konnte, wusste ich: da muss etwas dran sein.

Mara Giese: Und worauf achten Sie dann beim Lesen eines Manuskripts ganz besonders?

Hans Jürgen Balmes: Ein Text ist ein organisches Geflecht, bei dem alles – Sprache, Inhalt, Handlung – eine Rolle spielen muss. Hier beim open mike bin ich für die Lyrik zuständig und da ging es mir vor allem darum, herauszufinden, ob jemand es zu Wege bringt, über zehn oder fünfzehn Seiten einen durchgehenden Gestus, einen Ton, ein Thema, beizubehalten und nicht zwischendurch einzubrechen. Genau das ist auch das, was mich bei Prosamanuskripten oder Romanen interessiert: die literarische Sprache, die Kommunikation mit dem Leser, das Verhältnis zum Thema. Kommt all das in ein Gleichgewicht oder kommt es vielleicht sogar in eine Spannung, die so interessant ist, dass man unbedingt dabei bleiben muss.

Mara Giese: Wenn wir abschließend noch kurz über die eigentliche Arbeit eines Lektors sprechen – können Sie mir verraten, wie stark Sie in einen Text eingreifen?

Hans Jürgen Balmes: Das ist ganz unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab. Der Lektor ist ja der erste, der den Text von außen sieht, der Schriftsteller sieht ihn ja immer nur von innen. Es ist ganz wichtig in Gesprächen mit dem Autor herauszuarbeiten, dass diese beiden Sichtweisen eine Perspektive bekommen. Wenn man diese Perspektive gefunden hat, dann kann man zusammen an dem Text arbeiten und dann kann die Arbeit an dem Text auch fruchtbar werden. Ich bin kein Freund von Hau-Ruck-Aktionen, wie damals Gordon Lish, der Raymond Carver um fünfzig Prozent gekürzt hat. Einzig und allein aus dem Grund, Recht zu behalten.


 

Dank Olaf Petersenn und Hans-Jürgen Balmes haben wir hoffentlich einen kleinen Einblick in die Arbeit des Lektors gewinnen und einen Blick hinter die Kulissen werfen können.

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