Hakan Tezkan: „Wolf“

Wie kann man von Stille und Schweigen erzählen? Es ist früh am Morgen. M sitzt mit seinem Vater und seinem Onkel im Wohnzimmer. Es gibt nichts zu tun, es gibt nichts zu sagen. In seinem Text „Wolf“, der ein Auszug aus dem Roman „Den Kern schluckt man nicht“ ist, thematisiert Hakan Tezkan das Warten.

Es wird wenig gesprochen, die Unerträglichkeit der Stille wird nur selten gebrochen. Strukturell spiegelt dies der Text durch die Abwesenheit der direkten, mit Anführungszeichen markierten Rede. Verlegen wird der Fernseher angeschaltet und die ungemachte Wäsche thematisiert. Aufgelöst wird die Anspannung erst, als die Mutter, Tante und Großmutter die Wohnung betreten. Was vorher angedeutet wurde, wird zu Gewissheit. Der Großvater ist gestorben.

Ist es vorbei, fragte M und rieb sich übers Gesicht. Die Mutter nickte, die Tante ballte die Hände, und die Oma starrte auf ihre Füße, während der Vater und der Onkel bereits aufgestanden waren und nicht wussten wohin mit ihren Körpern.

M flüchtet aus der traurigen Gewissheit, auf die er zuvor warten musste. Er flieht im zweiten, maßgeblich kürzeren Teil des vorgetragenen Textes in eine verfallene Hütte, wo er auf ein Kind namens Wolf trifft. Hakan Tezkans Textauszug ist Teil einer Familiengeschichte, in dessen Zentrum der nur einbuchstabige M steht. Der Protagonistenname mutet kafkaesk an, die Figur bleibt letztendlich aber leider blass, obwohl die detaillierte atmosphärische Beschreibung der Szenerie sprachlich präzise ist. Der Schluss des gelesenen Ausschnitts lässt vieles offen, kommt aber so unvermittelt, dass Tezkans „Wolf“ am Ende unvollständig wirkt.

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