Der open mike-Autorenworkshop: So war’s.

Wie schon im letzten Jahr fand auch dieses Mal vor dem eigentlichen Wettbewerb ein Autorenworkshop statt. Wer, wo, was besprochen hat, darüber haben wir schon berichtet. Wie war es nun? Die kurzen Eindrücke, die wir, Gerrit und Theresa, sammeln konnten, haben zumindest eines gezeigt: So cool und abgezockt sich auch manch einer der Debütanten geben mag, die Gespräche verliefen erstaunlich offen und leidenschaftlich.

Gerrit:
Wie in dem von Kathrin Röggla geleiteten Workshop zur Frage „Kunst zwischen Autonomie, political correctness und sozialem Auftrag“. Einer der Standardvorwürfe an junge Autoren ist darin schon vorweggenommen: Zwischen all diesen Faktoren erdrückt, sei der literarische Nachwuchs unpolitisch, harmlos und ins Private zurückgezogen.

Die Diskussionen legten einen anderen Eindruck nahe: Viele der jungen Autoren haben sehr wohl ein geschärftes Bewusstsein für die Relevanz gesellschaftlicher Themen, sind aber verunsichert über die Form über diese zu reflektieren und mit welchem Anspruch ein Autor überhaupt in so exponierter Position dazu Stellung nehmen kann. Denn ein großschriftstellerisches Auftreten wie das eines Grass oder Walser scheint uns heute tatsächlich merkwürdig. Auch die Genderforschung, der post-colonial- und whiteness-Diskurs haben die Gemengelage unübersichtlicher gemacht: Inwiefern kann ich mich als weißer Mann oder Frau überhaupt noch zu Fragen des Rassismus, der Unterdrückung und Ungleichheit äußern ohne zu bevormunden?

Dazu kommt die schwierige Frage der Aktualität: Ist es Aufgabe der Literatur „aktuell“ zu sein? Und was heißt das überhaupt? Ein Roman schreibt sich nicht mal eben so. Ein-zwei Jahre sitzen Autoren in der Regel mindestens an einem Text, dazu kommen das Lektorat und die Publikationsvorbereitungen. Tagesaktualität kann demnach nicht der Anspruch der Prosa sein. Das heißt aber nicht, dass die Debütanten des open mikes 2015 die Literatur aus der Pflicht der Aktualität nehmen: Natürlich kann und muss die Kunst die dringenden Probleme unserer Zeit mit in sich aufnehmen. Auch hier fällt natürlich das Stichwort „Flüchtlingskrise“ und der Versuch eines literarischen Umgangs damit: Jenny Erpendecks „gehen, ging, gegangen“.

Das Bewusstsein, trotz aller Unkenrufe, scheint in der jungen Literatur durchaus vorhanden zu sein. Und schaut man in die Texte der Teilnehmer liefern diese auch den Beweis dafür.

Theresa:
Leidenschaftlich und offen wurde auch im Workshop von Kerstin Hensel und Andreas Bandilla gearbeitet, jedoch weniger inhaltlich als vielmehr performativ, denn hier standen „Text und Stimme“ im Mittelpunkt. Wie muss man sich eine solche Arbeit vorstellen?

Um den Nachwuchsautoren erste Impulse für den öffentlichen Vortrag von Texten auf Bühnen an die Hand zu geben, waren diese angehalten, je eine Seite eigenen Textes mitbringen. Diese wurden der Reihe nach vorgetragen und individuelle Ratschläge zur Optimierung des Auftritts im Plenum gesammelt. Dass kleinste Anregungen verblüffende Effekte mit sich ziehen können, zeigte das Beispiel einer jungen Lyrikerin. Nach dem ersten Durchgang – sie hatte sich fast scheu hinter dem mitgebrachten Zettel versteckt – schlug Bandilla vor, dass erst einmal keiner sich dazu äußern, sondern sie gleich noch einmal lesen solle. Diesmal jedoch nicht geradeaus in die erwartungsvollen Gesichter, sondern quer durch den Raum, nach oben, an die Metallleiste am oberen Rand der gegenüberliegenden Wand. Und siehe da: Nicht nur gewann die Autorin selbst an Präsenz, auch den Text artikulierte sie lauter und präziser und ließ die geschriebenen Bilder im Raum entstehen.

Dass ein guter Autor noch lange keinen guten Vorleser ausmacht, ist kein Geheimnis. Häufig vermisst man bei Lesungen die Sinnlichkeit eines Textes, weil seine lautliche Präsentation den literarischen Qualitäten nicht gewachsen ist. Umso wichtiger, gerade für die Jungautoren vor dem Wettbewerb, sich ein (erstes) Mal mit seinem eigenen Vortrag kritisch auseinanderzusetzen. Das Feedback war dabei so individuell wie die Texte und Autorenpersönlichkeiten selbst, einige Tipps jedoch auch rein praktisch. Merke: Man setze sich beim Lesen am Tisch nicht hinten an die Lehne, sondern vorn an die Kante, auf die Sitzbeinhöcker.

Spannend auch das Fazit, das aus diesem Nachmittag gezogen wurde. Denn – das könnte man vermuten – es geht nicht darum, seinen Text möglichst „schauspielersich“ vorzutragen. Grund ist das gänzlich unterschiedliche Verhältnis von Schauspieler und Autor zum Geschriebenen. Während der Schauspieler sich hineindenken muss in einen Text, versucht, ihn zu durchdringen und eine Art der Verkörperlichung zu finden, ist der Text durch den Körper des Autors in der Genese bereits mehrfach hindurchgegangen und als Produkt desselben auf ganz andere Weise vorzutragen. So lautete am Ende das Credo: Autoren, bekennt euch zu eurem Text und kleistert den Reichtum, der ihm innewohnt, nicht mit Inszenierung zu. Macht euren Zuhörern ein substanzreiches Angebot, indem ihr die Struktur eures Textes beim Lesen so plastisch und rein wie möglich darstellt.

Die Auswertung aller Workshopergebnisse, moderiert von Christiane Lange, der stellvertretenden Leiterin der Literaturwerkstatt – hier zum Nachhören:

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