Aus der Textwerkstatt von Eckhardt G. Waldstein, II

Nein!

eine ungelogene Erzählung

(Romanauszug)

>   >   >   > > > >>> »Fick dich ins Knie!«, so stieß ich sie einst von mir, wenigstens in den Albträumen schlafloser Nächte. Ihre Schlangenzunge aber hatte mich durchdrungen, das war schon lange her, damals war ich noch in der Schule. Und sie ließ und ließ einfach nicht los. Klammergriff, würgend, doch irgendwie wohlig. Ich war verlogen vor mir selbst. Sie würgte.

Wie ich dieses Luder hasse! Ja, ich hasse, verachte sie, für das, was ich ihr mir anzutun gestattete. In den Nächten jener Zeit kämpfte ich alleine in meinem Bett gegen die Ungeheuer, die sie entfesselt hatte und bohrte ihnen ein Lineal durch die Bäuche, bis die Gedärme nach außen drängten. Sie waren blind, aber stanken – und ihre Innereien erst! Mein Bett war endlich befleckt, ich leckte den Geschmack jedes Sieges auf, aber wie viele Schlachten ich auch gewann, den Krieg verlor ich Nacht für Nacht.

Ich schwitzte dieser Tage viel. Mein Kreislauf spielte verrückt. Vielleicht waren es spätpubertäre Hormonschwankungen, vielleicht die Besessenheit meiner »Psychose Frau«, die mir entfließen musste. Ich hatte Angst.

Und das Luder? Sie hatte keine Angst. Ich hasse sie. Heute hat sie Angst. Ich bin geheilt. »Fick dich ins Knie!« Irgendwann habe ich dann doch mein Kopfkissen auf ihren Mund gepresst, bis ihr Zappeln aufhörte. Seither blühen auch wieder Blumen in meinem Zimmer. <<< <<< <<<

Das andere Mädchen indes, das mit den wunderlichen Augen, streichelte meine Hand selbstbewusst und kribbelnd und wusste, was sie wollte, ohne mich dabei mit ihrer Zunge an die Krone eines Kirschbaums zu fesseln, wo man mit gebundenen Armen wenig pflücken kann, aber all die süßen Früchte anstarren muss (mit abgeschnittenen Lidern). Nein, sie war anders. Wohliger. Sympathischer. Ehrlicher! Das war gut. Und war auch wirklich so (also nicht nur nach meinem subjektivem Empfinden).

Sie bot mir ihr Bett an, ignorierte alle Stühle ihres Zimmers. Ich akzeptierte und wurde in die Honig tropfenden Achseln geschickt, durchgewalkt, verschlungen und ausgespuckt im Gewand triefender Säfte. Die Nacht war gut. Sie hieß Katharina. Nach dem Aufwachen in den Morgen zeigte sie mir ihre Lieblingsbücher; sie waren die Ornamente eines schönen Kopfes und so blieb ich noch zum Frühstück und wunderte mich darüber, aber ging dann zu meiner Erleichterung doch bald. <<< <<< <<<

Mein Vater und meine Mutter waren unspektakuläre Personen, bürgerlich, schlicht und wenig risikofreudig. Nur dadurch war auch ihr gegenseitiges Festhalten aneinander in dümmsten Situationen zu erklären, sie konnten sich nicht trennen, nicht auf normalen Weg via Scheidung, denn selbst das wäre ihnen zu unnormal erschienen. Was nicht normal war, kam ihnen nicht in die Tüte!

Wir wohnten in einer normalen Mietwohnung in einer normalen Kleinstadt, irgendwo. Vater war ordentlicher Angestellter, Mutter ordentliche Hausfrau. Geschwister hatte ich keine, denn viele Kinder zu haben, war damals schon nicht mehr normal.

Bereits seit frühester Kindheit schlug mir Mutters Zunge der Nichtigkeiten ins Gesicht und der ständige Wind aus Vaters Aktentasche der guten Ausbildung bewirkte, dass es mich ständig fröstelte und wer viel friert, bleibt auch schön dünn. In dieser Welt ist das gut: »Kränklich« ist das neue »Sexy«. Justine hat das genauso gesehen…

>>> >>> >>> Justine war der Name des Luders – was sag ich! – der Hure, die mich eine gefühlte Ewigkeit meiner Jugend Nacht für Nacht erwürgte, bis ich sie erstickte.

Ich lernte sie in der Schule kennen. Wir besuchten gemeinsam die AG »Reden ohne abzuschweifen«. Ich blieb nur ihretwegen diesem lächerlichen Projekt verhaftet. Dann erste Treffen zu zweit. Dann raubte sie mir meine Jungfräulichkeit. Dann hielt sie mich auf Abstand, weil da ein neuer Stecher kam, hielt mich hin, hielt mich wie einen Hund – und ich? Ich hielt mein Maul; auch noch, als sie mit ihrem eigenen Cousin in die Kiste stieg. Nachts kam sie dann wieder und heulte mir die Ohren voll. Ich tröstete sie und half ihr später sogar beim Schreibwettbewerb unserer Schule – den sie gewann. Meine Schulkameraden haben ihren luderhaften Blick erkannt, doch ich war geblendet. Meine Schulkameraden haben die lästerlichen Narben an ihrem Hals gesehen, der mit Maden spuckte. Doch ich blieb geblendet. Zu lange. Es hat etwas gedauert, aber ich begriff schließlich, welch Spiel sie mit mir spielte. Nachts weinte ich Blut. Dann ihr Gesicht. Mein Bett. Mein Kissen. Ein Trauma, das sich schließlich traumhaft entatmete in die Leere meines kühlen, dunklen Zimmers. Was wirklich passiert ist? Pah!

Nach meinen Erfahrungen mit Justine wollte ich jedenfalls keinen Sex mehr. Ich redete mir ein, dass das nie geschehen war und warf mich zurück in die jugendliche Masturbationsphase. <<< <<< <<<

Ich saß auf dem normalen Holzstuhl im dünnmöblierten Keller. Die Wände glänzten feucht im Licht der wackelnden, unverkleideten Glühbirne. Meine Mutter hatte sich den Brustkorb aufgebrochen und ihre Rippen nach außen gebogen, dass sie wie Engelsflügel wirkten, ehe sie zu wuchern begannen und sich als Fesseln um meine Beine und meinen Rumpf schlangen, mich mit dem Stuhl verknoteten. Mutter stand dann mit schwarzer Magie im Flimmerlicht, gelblich wie eine Asiatin, nicht schlitzäugig, aber schlitzohrig. Ihre immernasse Zunge spie mir nichtssagende Informationen entgegen, fröstelte sich gängelnd durch meinen Schädel und legte mein Hirn in Falten. Die Erznormalität, die sie predigte, berauschte mich mit Widerstand, doch ich blieb gefesselt, egal wie sehr ich zu strampeln versuchte. Mit Zorn starrte ich ihr in die Augen wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Sie erwiderte es mit dem Blick einer Hyäne, den ich nur ahnen konnte, denn äußerlich hielt sie die Gesichtszüge steif; ihre Mimik war der Max Mustermann des Kommunizierens, 08/15 wie ihre gesamte erbärmliche Existenz. >>> >>> >>> Ich wollte ausbrechen, seit mir die ersten Barthärchen wuchsen.

Meine Kindheit hatte ich in den Fängen des Kellers der anständigen Gesellschaft verbracht, zu lange hatte ich mich nicht gewehrt, zu lange war ich gelähmt in der Sattheit jenes ominösen »Westen« gewordenen Kontinents, der irgendwo zwischen den USA und Russland und China gegen seine zunehmende Bedeutungslosigkeit ankämpft und daher den Blick wahlweise zur rassischen Einheit nach innen lenkt oder eben in energischer Abgrenzung in eine Dritte Welt, die es schon alleine aus diesem Grunde aufrechtzuerhalten gilt. Und das nennen sie dann »normal«.

Für die USA machen sie den Bückling und ignorieren da die Menschrechtsverletzungen, die sie den anderen Großmächten vorhalten. Die Verlogenheit meiner Epoche legt sich in Form der ständig surrenden Signale aus Funk, einem ewigen Internetzwang und lebenslanger Überwachung wie eine surrealistische Farce um meinen Kopf, ein Sack, den man mir übergestülpt hat, als ich versuchte, zu sehen. Aber ja: Meine Heimat ist meine Heimat. Mein Jahrhundert ist mein Jahrhundert. – Aber nur, weil ich ja keine Wahl hab… <<< <<< <<<

Mein Vater spielte Klavier. Er hatte wenig Talent. Die Gewalt, mit der er die Tasten drückte und jeden Ton von ihnen erpresste, beeindruckte mich dennoch. So sehr er als Angestellter im Büro den Bückling machte, so sehr herrschte er zuhause mit eisernem Regiment. Sein Klavierspiel klang wie Säbelrasseln, eine Generalmobilmachung in unbekannter Tonart: Ich salutierte vor ihm.

Eines Tages jedoch wuchsen mir erste Barthaare. Mutter bekam das zuerst zu spüren, denn ich begann wild zu zappeln, wann immer ich in ihrem Experimentierkeller fixiert wurde. Ihre Normalität bedrängte mich, bis ich »Revolution!« schreien musste. Vater hatte dafür kein Verständnis. Ich solle mich anständig verhalten, wissen, wen ich vor mir habe, und nicht frech zu Mutter sein. Dann schlug er mich mit einer Klaviersaitenpeitsche. Ich blutete nur wenig, aber innerlich. Das war kurz vor den 20-Uhr-Nachrichten gewesen und als ich während der Sendung kauernd in der Wohnzimmerecke saß und weinte, ermahnte mich Vater zur Haltung. Als Angestellter, verstand er nicht, dass es Dinge geben konnte, die man nicht wollte. Er war sauer auf mich. Beim Bericht aus Russland stand er auf, der Fernseher spiegelte sich blitzend in seinen Augen. Der russische Präsident, der in diesem Einspieler von einem Schauspieler mit dem Künstlernamen »Breschnew« gemimt wurde, wirkte während des dargestellten Interviews mächtig und unerschütterlich. Ich blickte gebannt zu meinem Vater, als das Bild mit der Pressekonferenz hängen blieb, vor der Mattscheibe verschwamm und im Donnern des Informationsorkans Vater und dieser Breschnew ihre Köpfe tauschten. Und so wurde der überzeugende Darsteller des Führers von Russland mein Vater. Stolz und stark stand er da und ich fühlte, wie seine Autorität tastend um sich griff, den Raum erfüllte und mir die Tränendrüsen verschloss, für immer verschloss. Es war die tiefe Wahrheit einer Machtaura, die mich ergriffen hatte, die mich in diesem Raum zur Haltung brachte. Vor ihm würde ich stramm stehen.

Zufrieden klopfte mir Väterchen Breschnew auf die Schulter. »Du bist doch mein Sohn.«, sagte er, »Du bist doch mein Sohn!«. >>> >>> >>>

 

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