Arnold Maxwill, Ein anderes Blau

 

Die Bücher treiben durchs Jahr, Jahr für Jahr, auch die Jahrbücher, die Anthologien, die definitiven, sie ziehn – ziehn, ziehn, ziehn …

 

2011 erschien die samtene Bläue, herausgegeben von Ron Winkler; kein anderes Buch strahlt so sehr mit seinem Rücken. Blau. blau. blau. Weiß ist der Schnee. So füllen Sprenkel und Flocken die Vorder- und Rückseite des Bandes. Und es ist kein Zufall, dass es Schneegedichte sind. Denn vielfältig ist die Gestalt des Schnees. Verschwinden. Verdecken. Verweigern. Schnee ist leicht und sehr schwer, zart und opak. Schnee macht alles sichtbar, unsichtbar. Scheinbar, unscheinbar (Kafkas Baumstämme). Schnee ist Schnee und doch immer mehr. Weiß ist der Schnee: wie ein Blatt aus Papier.

Und so versammelt Winklers Anthologie Schneegedichte, die Gedichte des Verborgenen, des Vertrauten, des Verschütteten und Verflüchtigten sind. Wahrnehmung und eine leichte, permanente Verunsicherung. Schnee und Schnee. Manchmal scheinen mit unbefangener Fröhlichkeit nur »wetterverhältnisse« (Ror Wolf) im Fokus zu stehen; doch oftmals bleibt eine »Restunschärfe« zurück, wie Winkler im klugen, nicht auftrumpfenden Nachwort zeigt.

Sind andere Anthologien gelegentlich allzu geläufig aufgebaut: hier wurde eine überzeugende Auswahl und Anordnung erstellt (und ein Lob für die ausführlichen Textnachweise, für den Verzicht auf Biografien!). – Neben Bennbrechteichcelan sind natürlich auch Jandlbachmanntrakl etc. vertreten. Doch es gibt weitere Entdeckungen zu machen: Ilse Aichinger, Erika Burkart, Rose Ausländer. Beinahe Vergessene, zumindest kaum noch Gelesene (sie alle müssen zumindest genannt, immer wieder genannt werden): Wilhelm Lehmann, Peter Huchel, Johannes Bobrowski. – Von hier aus führen die Wege tief ins Gebirg. In die Textstollen des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt hierin liegt der große Verdienst der Schneegedichte.

Natürlich fehlen auch die ›Klassiker‹ des Schneegedichts – Rolf Dieter Brinkmann, Wulf Kirsten, Jürgen Becker und Andreas Altmann – nicht. Zum Glück, zum Glück. Und: die Schneegedichte sind zugleich ein gelungener Gang durch die deutschsprachige Gegenwartslyrik: von Mayröcker und Kling (ja, Gegenwart!) bis zu Beyer, Bleutge, Poschmann, Seel und Popp.

Der Schnee ist Schnee und zugleich mehr. Oder etwas anderes. Punkte, Frost, Entglittenes. Ein anderes Blau. Blau. blau. blau.

Und jetzt auf, zum Buchhandel!

 

Schneegedichte. Herausgegeben von Ron Winkler.
Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 2011 (208 Seiten, Hardcover, geprägtes Velours, 14,95 Euro)

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