Wir müssen reden … mit Kathrin Röggla

Kathrin Röggla schreibt Prosa-, Theater-, Hörspieltexte und Essays. Im Interview erzählt sie, in welcher Textform sie ihre gesellschaftspolitischen Ansprüche am besten verwirklichen kann, was Experten des Alltags für ihre Recherchen bedeuten und warum die Literatur vielleicht gar kein Relevanzproblem hat.

Literatur und gesellschaftliche Relevanz II: 

„In der Kunst wird es hoffentlich nie abschließende Lösungen geben“

 

open mike blog: Sie haben in den letzten beiden Jahren an den Vortagen zum open mike Workshops für die Nachwuchsautor*innen gegeben – 2014 unter dem Motto „Gesellschaft & Politik – was geht uns das an?“, letztes Jahr unter dem Arbeitstitel „Kunst zwischen Autonomie, political correctness und sozialem Auftrag“. Nun wird der jungen deutschsprachigen Literatur häufig vorgeworfen, sich zu gesellschaftlich relevanten Themen nicht ausreichend zu verhalten, zu harmlos und in sich gekehrt zu sein. Wie war Ihr Eindruck dazu im Gespräch mit den jungen Autor*innen?

Kathrin Röggla: Diese These ist immer eine Selbstläuferthese, zu der man kopfwackelnd sagen möchte: „Nun, es gibt solche und solche“. Über die gesamte deutschsprachige Literatur kann ich keinen Eindruck abgeben, noch nicht einmal über die teilnehmenden Autor*innen im Workshop. Man hört mit dem Kopfwackeln auf und teilt aus? Nein. Wie will ich das beurteilen? Etwa sagen, dass auffällig war, dass Themen wie political correctness und die damit verbunden Repräsentationsfragen wichtiger erschienen als zum Beispiel politische Ökonomie? Ich fände das ganz schön arrogant und betreibe ja auch keine soziologischen Studien, wenn ich solche Workshops gebe. Es ist sinnvoller über den öffentlichen Diskurs zu sprechen, der gewisse Bilder reproduziert.

open mike blog: Sie selbst schreiben sowohl Theatertexte und Hörspiele, als auch Prosa und theoretische Texte. In welcher Gattung können Sie Ihren eigenen gesellschaftspolitischen Relevanz- und Positionierungsansprüchen am besten gerecht werden?

Kathrin Röggla: In der Prosa, die hat am meisten Zeit. Gerade um meine Relevanzansprüche loszuwerden. Denn eigentlich geht es beim Schreiben äußerst selten darum, „sich zu positionieren“, sondern darum, etwas zu verstehen, auf etwas zu reagieren und dann noch ein Stück tiefer zu fallen.

open mike blog: Während das Theater seinen gesellschaftlichen Auftrag schon lange verinnerlicht zu haben scheint, blieb die Prosa bei diesem Thema allerdings lange im Hintertreffen. Wie erklären Sie sich diese Differenz?

Kathrin Röggla: Theater ist eine andere Kommunikationsform. Es ist direkter. Aber das täuscht auch. Es gibt ja auch die Pose des Politischen, etwa den radical chic. Auf der anderen Seite ist es schon interessant, dass man im Theaterdiskurs andere Erwartungen aufstellt. Vielleicht hängt es mit der Nähe zur bildenden Kunst zusammen. Da wird schon sehr viel länger verhandelt, was das Theater in den letzten 15 Jahren mehr und mehr für sich beansprucht. Es ist immer interessant, wenn die unterschiedlichen Künste ineinander geraten.

open mike blog: Lassen Sie uns über Ihre Arbeit als Autorin sprechen und darüber, wie Sie sich Themen nähern. Im Bezug auf unser Thema erscheint mir vor allem Ihr dokumentarischer Ansatz interessant: Fiktive Texte entstehen bei Ihnen häufig aus Interviews heraus, Experten aus verschiedensten Lebens- und Arbeitswelten sind Ihre Gesprächspartner und Quelle. Was suchen und finden Sie in dieser Herangehensweise?

Kathrin Röggla: Ein Gegenüber, stark oder schwach. Ein Magnetfeld. Einen Stein des Anstoßes. Einen Materiallieferanten. Jemanden, der mir Stichworte gibt. Jemanden, der mich ermuntert oder der mir Angst macht. Eine Projektionsfläche. Einen Wortverdreher. Jemanden, der mir weiterhilft. Eine Orientierungshilfe. Eine Wand, gegen die ich rennen kann. Ein Widerspruchsfeld. Also ziemlich Gegensätzliches …

open mike blog: Die Devise lautet also: Raus aus dem Privaten, der Innerlichkeit und hinein ins Fieldwork. Trotzdem stellt sich die Frage nach der Souveränität der Texte: Wie soll Literatur einen kritischen Blick auf eine Gesellschaft entfalten, von der sie selbst ein Teil ist?

Kathrin Röggla: Eine gute Frage. Aber man ist ja nicht hundertprozentig Teil dessen, es gibt nicht diese klare Trennlinie von Innen und Außen. Aber natürlich stellt sich gerade diese Frage beständig während der Arbeit. Die sogenannte Distanzgewinnung und Konterkarierung von Standpunkten ist total wichtig.

open mike blog: In ihren Thesen kommen weitere Aspekte hinzu – mediale Zerstreuung und Übermacht, Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt, ökonomischer Druck. Im Einstieg in ihren aktuellen Band Die falsche Frage beschreiben Sie, dass man gerade als Kreativschaffender im Bezug auf Märke informiert, ja sogar überinformiert sein sollte. Wirtschaft sei nicht mehr nur Leitdiskurs der Gesellschaft sondern auch der Kreativindustrie. Kann bei derartigem Theater- oder Literaturproduktionsdruck ein Stoff oder Thema überhaupt kritisch durchdrungen werden?

Kathrin Röggla: Das ist eine Frage, die ich schwer beantworten kann. Aber da ich gerade David Foster Wallace Unendlicher Spaß endlich in Ruhe lese, muss ich mit einem klaren „Ja“ antworten.

open mike blog: Stellt denn der ökonomische Diskurs des Kreativmarktes ein Problem der möglicherweise fehlenden Relevanz der Gegenwartsliteratur dar?

Kathrin Röggla: Vielleicht. Vielleicht liegt es aber auch daran, worüber im Feuilleton geschrieben wird und daran, wer auf welche Schreibschulen geht und welches Networking betreibt. Vielleicht fehlt es auch gar nicht so sehr an Relevanz. Vielleicht ist auch die deutsche Innensicht im Augenblick nicht so relevant und man bräuchte mehr Perspektiven von außen. Vielleicht wäre das auch nur so eine Konstruktion.

open mike blog: Im Diskurs um die gesellschaftliche Relevanz von Literatur wird immer auch die Sehnsucht der Menschen nach Realität und Authentizität sichtbar. Ihre Texte drehen sich häufig um Krisensituationen, Ausnahmezustände und Katastrophen. die alarmbereiten ist nur ein Beispiel hierfür. Sie schreiben über die menschliche Lust am Untergang – denn nichts, so scheint es, ist so real und wahrhaftig wie die Krise. Was sagen Krisen über uns aus und was fasziniert Sie daran?

Kathrin Röggla: Das stimmt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die bürgerliche Sehnsucht nach Authentizität mit der nach dem Untergang und der Katastrophe verbinden lässt. „Ich bin da, nur im Ausnahmezustand, jetzt aber echt.“ Als fehlte uns noch immer das Gefühl für die Existenz im Alltag. Mich fasziniert das, auch weil ich selbst davon voll erfasst bin. Insofern ist es auch eine Selbstbefragung. Und eine historische: Wer sind wir Restbürger noch? Welche Angstlust treibt uns an?

open mike blog: Sie wurden in einer Besprechung von die alarmbereiten einmal eine „hochmoralische und politische Schriftstellerin“ genannt. Was bedeuten diese Begriffe für Sie und wie wirkt sich so ein Prädikat auf Ihr Schreiben aus? Setzt es nicht auch unter Druck?

Kathrin Röggla: Ja, und wie. Ich würde mich auch nicht als „hochmoralisch“ bezeichnen. Da geht etwas durcheinander. Ich persönlich würde es sogar als Verhaltensfehler bezeichnen: Es ist sozusagen unmoralisch hochmoralisch zu sein. Selbst das Attribut „politisch“ ist eigen. Es entschlüpft einem immer und wird einem dann gegen den Schädel geworfen. Und natürlich bin ich auch nicht das Gegenteil: unpolitisch.

open mike blog: Wie in all Ihren Texten steht auch in Die falsche Frage die Sprache, das Werkzeug, im Mittelpunkt. Wie als Autor*in umgehen mit politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen unserer Zeit und welche Sprache verwenden? In der Beschreibung des Bandes wird es als Ihr zentrales Projekt skizziert, „ein sprachkritisches wie dokumentarisches und experimentelles Theater auf der Höhe der Komplexität der Gegenwart zu schreiben.“ Das klingt ehrgeizig …

Kathrin Röggla: Stimmt, das klingt ganz schön überambitioniert. Ich sage ja auch nicht, dass man das erreichen kann, aber in diese Richtung muss es gehen. Abschließende Lösungen wird es hoffentlich ohnehin in der Kunst niemals geben. Und uneinlösbare Forderungen gehören – jetzt hätte ich beinahe gesagt „zum Geschäft“. Aber das würde ich nein – niemals! – so äußern.

 

Kathrin Röggla (*1971 in Salzburg) arbeitet als Prosa-, Theater- und Hörspielautorin in Berlin. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Preis der SWR-Bestenliste für wir schlafen nicht und der Franz-Hessel-Preis für die alarmbereiten. Ihr aktueller Band Die falsche Frage ist im Verlag Theater der Zeit erschienen, im Herbst 2016 erscheint Nachtsendung. Unheimliche Geschichten bei S. Fischer. Seit Juni 2015 ist Röggla Vizepräsidentin der Akademie der Künste in Berlin.

 

Im Interview Literatur und gesellschaftliche Relevanz III sprechen wir mit der Autorin Olga Grjasnowa (Der Russe ist einer, der Birken liebtDie juristische Unschärfe einer Ehe).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ein Gedanke zu “Wir müssen reden … mit Kathrin Röggla”