Christian Mitzenmacher: „Chiquitita“

Eine Edeka-WG stell ich mir so vor: Es gibt demeter-Brotaufstriche für vier Euro das Glas, von denen sich jeder nehmen darf, einfach. An der Wand hängen Kandinsky-Drucke. Wenn Freunde da sind, darf man erst anfangen zu essen, wenn der letzte, der sich noch kurz Sonnenblumenkerne röstet, am Tisch sitzt, auch wenn das Essen dann schon kalt ist. Wir, wir sind eine Aldi-WG.

Mit diesen Zeilen beginnt Christian Mitzenmachers Text Chiquitita, in dem die Leser*innen den letzten gemeinsamen Abend einer Aldi- (oder doch Edeka-)WG miterleben. Erzählt wird hier aus der Perspektive einer Mitbewohnerin, die wie eine Kamera jeden ihrer Freund*innen noch einmal einfängt, bevor die Gruppe auseinanderbricht: Denn Lisa zieht aus, morgen fliegt sie in die Staaten und daran ändert auch das Zerreißen ihres Onlineflugtickets nichts. Diese Einsicht trifft die Erzählerin hart. Sie erinnert sich an den gemeinsamen Rom-Urlaub, an Bandproben, an die Vergangenheit und fängt plötzlich an, all diese Erlebnisse melancholisch revue passieren zu lassen in Frage zu stellen.

Der Abend in dieser WG ist szenisch dargestellt und entsteht bildlich vor dem inneren Auge, was man ihm zugutehalten muss. Trotzdem empfindet man diese Geschichte eher als eine lange Filmszene, die ein paar Schnitte vertragen könnte. Viele Nebensächlichkeiten, die hier geschildert werden, bleiben bedeutungslos. Auch wenn die Erzählung eine Hymne auf die Freundschaft ist und echt wirkt, bleibt es doch nur eine dieser WG-Storys, die leise vor sich hinschwadern und nicht wirklich Lust generieren, weiterzulesen. Eine Prise Verliebtsein, eine Prise Erstsemester, eine Prise Spieleabend. Es bleibt eine Suche nach einer eigenen Sprache, die treibt und den Inhalt legitimiert.

Lisa streichelt meinen Kopf. Nicht wie Max, sie fährt mir richtig durchs Haar, mit beiden Händen. Dabei wiegt sie leicht von links nach rechts. Sie summt Chiquitita, doch es klingt wie eine Lüge.

Diesen letzten Satz hätte es nicht bedurft, weil er einmal mehr zu viel erklären möchte. Am Ende bleibt mir leider nicht mehr, als der von Lektorin Esther Kormann versprochene ABBA-Ohrwurm.

 

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