Anja Utler: Keynote zum Workshop des 24. open mike

What is it like to be a bat? Der Philosoph Thomas Nagel hat das im Jahr 1974 gefragt und behauptet, dass die wissenschaftliche Betrachtung von Tiergehirnen und Sinnesapparaten diese Frage nicht beantworten kann. Die Literatur kann das auch nicht. Aber die Literatur könnte – wenn sie denn will – einen Vorschlag entwickeln. Eine Art Spürbarkeit wider fehlendes Wissen, ein spekulatives Erleben mit wahrnehmbaren Grenzen. Warum sollte Literatur das tun wollen? Ich meine, weil sie an der Wirklichkeit interessiert ist, daran, wie ES sich für jemanden anfühlt – wie es in einen Körper drängt, Handlungen erzwingt, verhindert. Wie wäre es, ein Vampir zu sein? Zweibeiniger ultraschallzirpender Tastflugkörper?

Ich habe im September in Wien an einer Diskussionsveranstaltung teilgenommen zur Frage „Was ist gute Literatur?“. Vor den Gesprächen gab es ein Briefprojekt, in dem andere Schriftstellerinnen sich die gleiche Frage gestellt hatten. Die österreichische Autorin Andrea Winkler bringt in einem ihrer Briefe die Wirklichkeit als Kategorie ins Spiel. Literatur in ihren besten Momenten solle, sagt Andrea Winkler, sie mit der Wirklichkeit „in Kontakt“ bringen und zwar „unzweifelhaft“. „Wirklichkeit“, sagt sie, sei ein „problematisches“ Wort, auf das sie aber „nicht verzichten“ könne. Und sie definiert es dann als etwas mit „so viele[n] Facetten und Nuancen wie das Leben selbst“ – womit viel und nichts gesagt scheint, vielleicht aber: dass alles das wirklich sein könnte, wozu sich jemand die Frage ausmalen mag „Aber wie ist das denn?“, „What is it like to be?“, für diese oder für jenes.

Wie ist das als Angehörige einer vernichtungsseligen Spezies? What is it like to be a Lebewesen fußverwachsen mit dem Grund des Mittelmeers these days? Wie nagt die spezifische Kleinheit eines machtverwixten Arschlochs? Und what is it like to be a Schriftstellerin? Wenn ich das zeigen wollte – hielte ich mir dann ein Mikrofon vor die Nase und nähme mich auf? Dann, bin ich versucht zu sagen, bekäme ich einen Text, der die Frage beantwortet What is it like to be a tape recorder? Ich bekäme aber nicht mal das.

Weil Sprache so nicht funktioniert. Der Alltagsschreib und -sprech tut alles, um nicht tun zu müssen, was Sprache ja könnte: sagen, wie etwas wirklich ist. Sondern schleift und glättet und beschleunigt, auf dass Verständigung zwischen Menschen irgendwie möglich und weniger gefährlich werde, das Alltagsplappern macht das gut, das Nicken und das Kopfschütteln, für alles bisschen andere gibt es das Gleitmittel Emojis.

Was heißt das für einen literarischen Text? Ich meine, es heißt, dass ein Text zu sich kommen muss, um Literatur zu sein. Andrea Winkler nennt als Beispiel für einen Text, der wirklich ist, Das große Heft von Ágota Kristóf. Dieses ‚Heft‘ besteht aus Aufsätzen von Zwillingsbuben, die sich selbst in einer Kriegsgesellschaft zur Fühllosigkeit erziehen. Allerdings wird da nicht gekritzelt und Gekritzel ausgestellt, die Buben wägen ab und wählen, formen und korrigieren, bis die Texte ihren Ansprüchen genügen – sie die Beobachtung und Abtrennung sind, von der sie erzählen.

Genügen heißt hier nichts anderes, als dass Texten genug Zeit und Aufmerksamkeit gegeben wird, dass sie in ihre eigene Logik finden können. Sodass die erzählten oder beschimpften oder angezirpten Beziehungen in der Welt in textliche Beziehungen umschmelzen können. Die um ererbte Gerüste herum wachsen oder die Knochen erst produzieren können – denn nicht um solche Scheingegensätze zwischen ‚traditionellen Formen‘ und vermeintlichen ‚Un-Formen‘ geht es, sondern um Sprachlogik. Dank ihr brauchen Ursachen und Wirkungen nicht äußerlich bleiben und bloß referiert werden, sondern können zu den Kraftfaktoren des Spechgefüges selbst werden. Zu einem knapp geschnürten Satz etwa, der die Ursache für einen kettenhaften Ausbruch wird; einer rhythmischen Figur, die tanzt und weitertrippeln will, und vielleicht bockt dann hier der Boden; zur Temperatur oder Farbe einer Formulierung, die in der nächsten sich intensiviert oder zerbröselt – je nachdem, was denn gesagt sein soll. Denn wie es gesagt ist, ist, wie es ist, im Text und dann im Kopf. Der Punkt im Text ist nicht der Schnörkel- oder Plüschpunkt, sondern Semantik: Sobald es anders gesagt ist, ist es ganz einfach etwas anderes.

Adorno sagt in seiner Ästhetischen Theorie: „die durchgeformten Werke, die formalistisch gescholten werden, sind die realistischen insofern, als sie in sich realisiert sind und vermöge dieser Realisierung allein auch ihren Wahrheitsgehalt, ihr Geistiges verwirklichen, anstatt bloß es zu bedeuten“. Den Kampfbegriff formalistisch kann man ins Heutige übersetzen als „die durchgeformten Werke“, die ’sprachverliebt‘ oder ‚experimentell‘ oder ’nicht welthaltig‘ „gescholten werden, sind die realistischen“ – also: ‚relevanten‘ oder ‚politischen‘ oder ‚welthaltigen‘ oder ‚authentischen‘ „insofern, als sie in sich realisiert sind und [so] ihr Geistiges ­verwirklichen […]“ – also: Berührung mit einer Wirklichkeit herstellen.

Und sich damit für die Bezeichnung ‚Literatur‘ qualifizieren, die ich hier so gern und bedenkenlos verwendet habe. Denn Literatur zu produzieren ist etwas Hehres, Gutes und Gemeines. Ist etwas in die Welt setzen, das an den Hals der Leser atmet und sich ihnen injiziert, so dass jenseits der Blut-Hirnschranke irgendwas seine Zusammensetzung ändert. Ich behaupte, das kann nur jemand, der selbst nach so was süchtig ist. Und deshalb, scheint mir, ist Literatur zu produzieren für Schriftsteller ein Selbstschutz. Denn über die What is it like to be a tape recorder-Erzeugnisse hinweg saugen ja andere an ihnen, rufen einen Herbst lang, oh, wie interessant, die Autorschaft der Seegurke, wie haben wir darauf gewartet, und rufen dann im nächsten Frühjahr, ach, das machtverwixte Arschloch, wie authentisch, und bleiben selbst ohne Kontaktspuren, es war ja nichts, bleiben intakt. Die Autorinnen hingegen nicht, weil sie genau das merken müssen, es war ja nichts, in Wirklichkeit, nichts als Entzug.

 

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