Wir müssen reden … mit Julia Eichhorn

Julia Eichhorn ist als Literaturagentin in der Agentur Graf & Graf, wo sie im Bereich Belletristik auch viele ehemalige open mike-Teilnehmende betreut. Im Interview erzählt sie, wie sie den Wettbewerb 2016 erlebt hat, liefert Einblicke in die Arbeit einer Literaturagentur und erklärt, warum Autor*innen mehr Schutzräume brauchen.

Literaturproduktion III

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open mike blog: Der open mike 2016 liegt gerade hinter uns. Aus deiner Sicht als Literaturagentin: ein erfolgreiches Jahr?

Julia Eichhorn: Der open mike ist immer erfolgreich, wenn Autor*innen sich ausprobieren und mit einem Ergebnis präsentieren können, wenn sie Hörer*innen und Leser*innen finden, Netzwerke bilden, Unterstützung und Mut fürs Weiterschreiben gewinnen. Insofern: ja. Als Literaturagentin sind mir dieses Jahr zwei, drei Texte aufgefallen, die durch ihre Geschichten und ihren Stil herausragten. Die Entscheidung der Jury konnte ich gut nachvollziehen, auch wenn ich mir für Kristin Höllers Text einen Preis gewünscht hätte.

open mike blog: Sprache, Inhalt, Performance – worauf achtest du bei einem Wettbewerb wie dem open mike?

Julia Eichhorn: Ich achte auf alle drei Aspekte, wobei die Performance für mich nicht das entscheidende Element ist, obwohl sie beim open mike natürlich eine große Rolle spielt. Ich versuche vorher oder nachher die gedruckten Texte zu lesen und da müssen sie mich überzeugen. Wenn das der Fall ist, spreche ich den*die Autor*in an, frage nach dem Hintergrund des Textes und den Plänen für das Schreiben. Einer der schönen Aspekte am open mike ist ja, dass nicht alle Autor*innen schon ein fertiges Romanmanuskript in der Tasche haben, sondern man als Agentur die Schreibenden von Anfang an und langfristig begleiten kann.

open mike blog: Die neueste open mike-Autorin für Graf & Graf ist Doris Anselm, die 2014 mit ihrem Text Die Krieger des Königs Ying Zheng als Gewinnerin aus dem Wettbewerb hervorging. Aber auch andere open mike-Preisträger*innen werden von der Agentur verstreten, etwa Karen Duve, Terezia Mora oder Jochen Schmidt. Wie muss man sich das „Buhlen“ um die Teilnehmenden des Wettbewerbs vorstellen?

Julia Eichhorn: Ich besuche den open mike seit 2009 und vertrete selbst neben Doris Anselm und Sandra Gugic noch weitere open mike-Teilnehmer*innen. Zum Beispiel Katharina Hartwell, die mich mit ihren Texten überzeugt hat, auch wenn sie 2013 keinen Preis erhalten hat. Unsere Autor*innen kommen über die verschiedensten Wege in die Agentur, oft auch durch Empfehlungen. Wir buhlen also nicht um sie, auch wenn die Dichte der Agenturen und insgesamt die Präsenz des Betriebs im Heimathafen immer höher wird und auch manche*r Autor*in schon vorher an Agenturen gebunden ist. Wir möchten mit Leuten arbeiten, die sich ganz bewusst für uns entscheiden, und suchen auch unsererseits sehr gezielt aus, mit wem wir zusammenarbeiten möchten.

open mike blog: … und wenn das dann geklappt hat, wie muss man sich die gemeinsame Arbeit vorstellen?

Julia Eichhorn: Doris Anselm ist ein schönes Beispiel, weil sie den open mike mit einer Kurzgeschichte gewonnen hat und zu diesem Zeitpunkt auch an einem Erzählungsband gearbeitet hat. Im Heimathafen ist tatsächlich der erste Kontakt entstanden. Als sie ihr Manuskript abgeschlossen hatte, haben wir uns zusammengesetzt und über die einzelnen Texte, die Auswahl der Geschichten und auch geeignete Verlage gesprochen. Im Frühjahr erscheint ihr Debüt Und in dem Moment holt meine Liebe zum Gegenschlag aus bei Luchterhand und ich freue mich sehr auf dieses Buch. Nächste Woche treffen wir uns und sprechen dann über die Buchpremiere, Veranstaltungen, die Pressearbeit und alles, was sonst noch so ansteht. Und natürlich auch über ihr nächstes Buch.

open mike blog: Die Agentur Graf & Graf gibt es seit 1995, du selbst bist seit 2009 dabei. Was hat sich über die Jahre verändert, gerade mit Blick auf die Entdeckung junger Schreibtalente?

Julia Eichhorn: Die Abläufe und Prozesse haben sich extrem professionalisiert. Das bestätigt auch Karin Graf, die die Idee zur Agenturgründung schon 1994 hatte und damals eine der ersten Literaturagentinnen Deutschlands war. Heute gibt es sicherlich Hunderte. Für die Debütierenden ist es sicherlich nicht leichter geworden, da auch sie sich dem Markt anpassen. Manchmal muss sie regelrecht darin bestärken, dass sie sich Zeit nehmen dürfen, dass sie nicht auf jede Anfrage nach einem Text sofort reagieren müssen und dass es im Kern immer noch um das gute Manuskript geht und nicht oder nicht nur um das Marketing. Vielleicht ist das ein neuer Aspekt unseres Berufs: den Autor*innen Schutzräume zu bieten, in denen sie langfristig eine Vertrauensperson haben und sich in ihrer Arbeit entwickeln können.

open mike blog: Inwieweit spielt die zunehmende Zahl von Schreibschul-Absolvent*innen eine Rolle für diese Veränderung?

Julia Eichhorn: Schreibschulen sind ein Teil dieser Professionalisierung. Es ist wunderbar, dass es sie gibt und die Autor*innen dort die Möglichkeit haben, sich Handwerkszeug anzueignen, an ihrem Talent zu feilen, sich mit anderen auszutauschen, sensible Mentor*innen zur Seite gestellt zu bekommen. Wenn dieser Raum jedoch bereits den Druck und die Konkurrenz des Marktes vorwegnimmt, verliert er das Potential, Freiräume für Autoren zu schaffen.

open mike blog: Hinzu kommt, dass es wohl nie einfacher war, mit einem eigenen Text an die Öffentlichkeit zu treten als heute – sei es über Social Media, einen eigenen Blog oder Selfpublishig. Welche Haltung vertrittst du gegenüber dieser „neuen“ Sorte Text und hast du solche Formate auch für die Arbeit in der Literaturagentur auf dem Radar? 

Julia Eichhorn: Mein Kolleg*innen und ich sind allen Formaten und Vermittlungsformen von Texten gegenüber offen und haben sie auf dem Radar. Aber man muss unterscheiden: Die neuen Formate haben sich, zumindest im klassischen Printbereich und bei Digitalverlagen, nicht oder noch nicht bei einer breiten Leserschaft durchgesetzt. Auf das Revival der kurzen Form im E-Book warten wir seit Jahren und auch Formen wie Enhanced E-Books oder serielles Erzählen sind im breiten Markt in einem Teststadium steckengeblieben.
In den neuen Vermittlungsformen, besonders im Bereich Selfpublishing, sind wiederum klassische Genreromane am erfolgreichsten. Grundsätzlich begrüßen wir sehr, dass das Veröffentlichen weniger exklusiv ist, stellen aber bei vielen Autoren nach wie vor den Wunsch fest, einen Verlag im Rücken zu haben, der Lektorat, Marketing, Presse, Veranstaltungen übernimmt und unterstützen diesen Wunsch. Social Media spielt für alle Vertriebswege übergreifend eine große Rolle. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken.

open mike blog: Werden Wettbewerbe wie der open mike dadurch irgendwann obsolet?

Julia Eichhorn: Nein, keinesfalls. Ich denke sie werden – wie durch diesen Blog – erweitert.

open mike blog: Auch das Profil der Agentur Graf & Graf hat sich im Laufe der Jahre verändert. Während der Fokus am Anfang auf der literarischen Belletristik, für die du ja auch zuständig bist, lag, so wurde das Spektrum auf Unterhaltung und Sachbuch ausgeweitet. Ein deutliches Indiz für die Mechanismen des Marktes. Wie beurteilst du diese Entwicklung?

Julia Eichhorn: Sie spiegelt zunächst einmal die Breite unseres Angebots für Schreibende und Verlage wieder und hat auch mit der personellen Vergrößerung der Agentur mit Blick auf die Branche zu tun: Karin Graf vertritt vor allem Autor*innen in der literarischen Belletristik und auch einige Sachbuchautor*innen. Die Geschäftsführerin Heinke Hager hat sich auf die Filmrechte spezialisiert. Ich vertrete neben der Literatur auch ausgewählte Autor*innen in der Unterhaltung, etwa im Bereich Spannungsliteratur. Mein Kollege Daniel Graf betreut Sachbücher mit Schwerpunkten auf den Themenfeldern Politik, Gesellschaft, Kultur, aber auch in der anspruchsvollen Popular Science. Das sind Bereiche, die im Markt zunehmend wichtiger werden und in Zukunft hoffentlich auch nicht mehr nur in Abgrenzung voneinander gedacht werden. Das Schubladendenken ist in kaum einem anderen Land so groß wie in Deutschland und ich würde mir in diesem Punkt eine Öffnung wünschen.

open mike blog: Wie würdest du die Bedeutung der sogenannten „jungen“ Literatur für das Agenturprofil beschreiben?

Julia Eichhorn: Junge Literatur ist ein sehr schwammiger Begriff. Wenn wir damit Debütierende bezeichnen, dann spielen sie eine wichtige Rolle in der Agentur. Natürlich hat und pflegt die Agentur Graf & Graf einen großen Autorenstamm und vertritt viele arrivierte Autor*innen, aber unsere Neugier hört nicht auf und die Literatur steht gottseidank nicht still und so gibt es immer weiter neue Entdeckungen und Talente. Das ist eine der schönsten Seiten dieses Berufs, das begleiten zu dürfen.

 

Julia Eichhorn ist seit 2009 für die Literaturagentur Graf & Graf im Bereich Belletristik tätig. Sie studierte Literaturwissenschaft und Geschichte in Tübingen und Potsdam und arbeitete bei mehreren Verlagen u.a. bei der Deutschen Verlags-Anstalt.

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