Arbeit & Literatur: Willkommen bei den Anonymen Autoren

Am Vortag des Wettbewerbs veranstaltet der open mike jedes Jahr Workshops. Zur Teilnahme sind jeweils alle FinalistInnen der vorangegangenen fünf Jahre aufgerufen. Jährlich werden so um die 100 Einladungen verschickt und dieses Mal gab es 45 Zusagen. Wir haben für euch zwei von insgesamt vier Workshops besucht.

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Kreidetafel und bunte Karteikarten: Klassenzimmeratmosphäre. Wir sitzen im Stuhlkreis, wie bei einer Selbsthilfegruppe. Acht Open-Mike-Finalistinnen der letzten fünf Jahre, ein Finalist und ich. Ich merke schnell: Das hier wird nicht einfach nur ein schnöder Vortrag.

Passend zum Selbsthilfegruppenkreis heißt der Vortrag, den Coach und Journalistin Katharina Zink an diesem Nachmittag hält, „Dr. Psycho“. Unter diesem Motto will sie uns in den nächsten vier Stunden die Themen Selbstorganisation, Motivation und den Umgang mit Druck und Blockaden näherbringen.

In der ersten Hälfte sollen sich die PatientInnen erst einmal kennenlernen. Nach einer Vorstellungsrunde formen wir eine dreidimensionale Skala im Raum. Das eine Ende des Raumes steht für „stimme voll zu“, das andere für „stimme nicht zu“. Katharina Zink wirft uns Aussagen entgegen und wir bewegen uns als lebendig gewordene Statistik hin und her.

Schreiben macht Spaß. – Wir stehen quer im Raum verteilt.

Ich finde meine Texte toll. – Fast alle mögen ihre Texte zumindest ein bisschen.

Mit Rotwein schreibt es sich besser. – Die gesamte Gruppe quetscht sich an eine Wand. Nein, nicht in Richtung „stimme zu“. In der Gruppe der anonymen Autoren wird alkoholische Enthaltsamkeit anscheinend ganz groß geschrieben. „Ich will ja nicht, dass der Alkohol schreibt“, heißt es beispielsweise.

Ein beispielhaftes Tafelbild während „Dr. Psycho“. (c) Sally-Charell Delin

Nach ein paar Kreativübungen erinnern wir uns an unseren besten Schreibflow-Moment. Wir sammeln Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass es da mal gut lief und versuchen diese Faktoren zu clustern: Körperliche Wachheit, räumliches Wohlbefinden und Bewegungsfreiheit, außerdem kein Zugang zum Handy oder Internet und die Notwendigkeit nach Input.

Wir sprechen offen. Über den Punkt beim Schreiben, an dem man sich als SchriftstellerIn selbst anzweifelt. Über Angst. Über Wut. Manche Autorinnen erzählen Freunden gern von ihrem Schreibprozess. Andere denken sich gar Alibiprojekte aus, um nicht vom Vorankommen sprechen zu müssen. Es gibt viele Überschneidungen, doch jede Arbeitsweise ist einzigartig. Und so stellen wir am Ende des Workshops fest: Das eine Rezept zur Selbstorganisation, um Blockaden zu überwinden und Motivation zu finden, gibt es nicht. Es zählt vor allem, sich selbst zu kennen. Und da wären wir wieder bei der Selbsthilfegruppe.

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