Christian Schulteisz: „Hunger auf Schienen“

Die Provinz hält so manches Mal Berufe bereit, die wohl bald komplett aussterben werden. Auch dem Schrankenwärter in Christian Schulteisz’ Text droht wahrscheinlich irgendwann die Arbeitslosigkeit. Aber noch geht er Tag für Tag vergnügt seinem Job nach, obwohl hier in der Einöde nicht mehr besonders viele Autos seinen Bahnübergang passieren. So lässt er auch die Schranke lieber gleich unten und widmet sich stattdessen kleinen Sportübungen oder seinen Groschenromanen, die vom Wilden Westen handeln.

Ein gelangweilter Mensch, ein sich nach ein wenig Nervenkitzel sehnender Mensch könnte Limbo tanzen, erst unter der einen, diesseitigen, dann unter der anderen, jenseitigen Stange durch und schließlich wieder zurück.

Die Pistolengeschichten aus den Heftchen des Wärters verwebt der Autor auf raffinierte Weise mit der erzählten Realität, sodass lebendige Tagträume entstehen, die zum Mitfiebern einladen. Aus dem Takt kommt der Wärter erst, als tatsächlich ein Auto mit dem besonders goldig charakterisierten Joshua und dessen beiden Verwandten an der Schranke hält. Gespickt wird der Text mit einigen wissenschaftlich anmutenden Passagen über „Raupenmus“ auf den Gleisen, der die Züge am Weiterfahren hindert. Schulteisz’ Text hangelt sich von Assoziation zu Assoziation und wird dabei von klugen Personifizierungen durchzogen, die sich perfekt in den schwarzhumorigen Grundton der Erzählung einfügen.

Der Ventilator schüttelt darüber nur langsam den Kopf. Das kleine Radio, das vielleicht läuft, läuft jetzt vielleicht weiter und spielt zu unserer Unterhaltung ein passendes oder unpassendes Lied.

 

Schulteisz’ pointierte und lebendige Vortragsweise setzt seinem Text das i-Tüpfelchen auf und kann dem Publikum im Heimathafen das erste verhaltene Kichern entlocken. Ich will eindeutig mehr von diesem liebenswürdigen Wärter lesen. Am Ende bin ich dann ganz bei dem kleinen Joshua, der sich fragt, was da auf den Schienen liegt. Im allerersten Satz wird angedeutet, dass „etwas schiefgehen wird“ – aber was nur?! Ich wünschte, ich könnte den Schrankenwärter besuchen und nachfragen. Und dann würde ich mit ihm bei lockeren Gymnastikübungen an der Schranke über seine Heftchen und das Raupenmus schwatzen.

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