Sarah Wipauer: „Wie früher die Männer an Säuglingen starben“

Im Jahr 2015 ging der Begriff „Regretting Motherhood“ durch die Medien, der sich mit der Reue befasst, Mutter geworden zu sein. An diese Debatte wird man beim Hören des Textes von Sarah Wipauer erinnert: Doch hier sind es nicht die Frauen, die das Gebären eines Kindes bedauern. Nur Männer sind von der „Säuglingskrankheit“ betroffen. Auf der Männerbrust entsteht eine Erhebung, ein Embryo, der mit der Zeit zu einem Säugling heranwächst. Und dadurch rückt auch jeweils der Tod der Männer näher.

Bald nach den ersten Tagen mit dem Säugling sah er sich in Spiegeln tatsächlich den körperlichen Verfall an, seine Behaarung wurde schütterer, ein Eck des oberen linken Schneidezahns war nachts herausgebrochen, »alles wird nun spröde und morsch, aber ich will noch nicht in das Heim der Ausgestoßenen«, musste er gedacht haben.

Mit einer wissenschaftlichen Beschreibung beginnt Sarah Wipauer ihren Text. Ab einem gewissen Punkt nimmt jedoch die Skurrilität der Geschichte überhand. Die Autorin arbeitet sich vom Großen ins Kleine ab, vom Inneren zum Äußeren. Nach der allgemeinen Einführung in die Krankheit begegnen und folgen wir Herbert, der davon betroffen ist. Zunächst versucht er noch seinem Schicksal zu entkommen, ergibt sich diesem nach einer Flucht in den Wald aber doch.

Sprachlich und optisch sticht der Text vor allem durch die präzise Sprache hervor, die sich auch nach der Einführung weiter durch die Erzählung zieht. Sarah Wipauer hat die Geschichte fein säuberlich in kurze Abschnitte gegliedert und sie wählt kein Wort zu viel und keines zu wenig. Unaufgeregt schildert sie zugleich die Entwicklung von Herberts Säugling, die dem Leser von Anfang an bewusst ist: Sie endet im Grab.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.