Katrin Pitz: Antworten zu geben

Den zweiten Beitrag des Sonntags bestreitet Katrin Pitz mit einer – wir sind nicht wirklich überrascht – Geschichte vom Dorf.

Wer wie ich im Vorort einer Kleinstadt aufgewachsen ist, wird sich in diesem Text schnell wiederfinden. Ein Marktplatz, darauf ein Brunnen, in dem einst die Mutter eines Klassenkameraden der Erzählstimme nackt tanzend gesichtet wurde. In einem Umfeld, wo jeder jeden kennt, bleiben solche Ereignisse auf lange Zeit im kollektiven Gedächtnis hängen. Ebenso wie die putzigen Spitznamen von Geschäften, Cafés – und Menschen:

Der Nee sagen wir, und es geht genauso leicht über die Lippen wie der Jo, vorausgesetzt, man sagt es ihnen nicht ins Gesicht.

Nee und Jo, zwei ältere Männer, die wahrscheinlich ganz anders heißen, aber durch ihr ständiges Nicken und Kopfschütteln zu diesen eingängigen Bezeichnungen gekommen sind. Wer sie sind, was sie in ihrem Leben machen und warum bei ihnen ein kleines, stilles Mädchen wohnt, möchte die Erzählstimme herausfinden; sie tut das in einem nüchtern-nostalgischen Rückblick, der sich an ein nicht näher definiertes Du richtet:

Es ist nicht lange her, dass wir jung waren, jünger noch als die Jugendlichen, und bedenke, unsere Jugendlichen sind längst schon erwachsen […]

»Antworten geben« lautet der Titel, doch hier werden keine Antworten gegeben – eigentlich entstehen nur lauter Fragen, das betont auch Lektorin Nadya Hartmann bei der Vorstellung der Autorin. Bei den Zuhörenden entsteht vor allem die Frage nach dem Zweck des Textes: Ist es eine nette mit märchenhaften Elementen durchzogene Erinnerung an »die guten alten Zeiten« im überschaubaren Dorfkosmos, ein sentimentales the times, they are a-changing? Oder zeichnet der Text ein kritisches Hinterfragen von lokalen Gerüchteküchen, die den älteren Männern – man ahnt es zwischen den Zeilen – einen Hang zur Pädophilie bescheinigen?

Katrin Pitz beschwört in einer klaren, eigentümlich ruhigen – und im Vortrag etwas zu monotonen – Sprache einen Dorfkosmos herauf, der wie aus der Zeit gefallen scheint und gleichzeitig höchst aktuell wirkt, in dem vertuscht und verschwiegen wird. Mit »[…] mich steckt es an, […] Antworten zu geben, die sonst keiner gibt« endet der Text mit einer Art Cliffhanger. Auf die Antworten wird das Publikum aber wohl vorerst verzichten müssen.

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