Ann Esswein: Ohne Titel

Den Samstag beschließt Ann Esswein mit ihrem unbetitelten Text. Wie schnell ein Tag voller Lesungen doch vorbeigehen kann.

Am Badesee passiert es. Sommer, Sonne, ausgelassenes Feiern mit Freund*innen. Doch die laue Nacht, in der alle viel zu betrunken sind und am See einfach nacheinander einschlafen, wird für die Erzählerin zu einem traumatischen Ereignis. Da ist plötzlich diese Hand, sie sieht sie noch in ihren Flashbacks, ungeordnet, nicht zuzuordnen, aber ganz klar da. Viel zu nah, viel zu viel.

Die Hand lag auf meinem nackten Oberschenkel wie ein Fisch, nass und schwer. Die Hand lauerte. Ungefragt verströmte sie eine Kühle, die bis in den Bauch ging und noch viel weiter. 

Vom traumatischen Ereignis entfernt sich der Text nach dem ersten Abschnitt wieder, leitet über zum Leben des Kollektivs, in dem die Erzählerin lebt. Anders als in Patrick Klösels Beschreibung einer Kommune geht es hier aber nicht um Distinktion, sondern um Gemeinschaft und Aktivismus. Jedoch nicht idealisiert, hier scheinen die Brüche in der gelebten Utopie der Bewohnerinnen klar durch. Allerdings mit einer Wärme, die die Anstrengungen des alternativen Lebensentwurfs zu tragen vermag.

Aber das Trauma lässt sich nicht wegwischen. Taucht immer wieder auf, bis plötzlich der Mann vor ihr steht, der es war. Alles in ihr schreit, so laut, dass sie erstarrt. Auch der Text erstarrt an diesem Punkt, tastet sich langsam weiter, lädt die Szene mit einer klirrenden Spannung auf, um diese in einer unerwarteten Wendung plötzlich abzulassen.

Ann Essweins titelloser Text wird mit jedem Satz besser. Er zeigt am Anfang plastisch, wie unglaublich schwierig es ist, ein traumatisches Ereignis in Worte zu fassen, es für die Leser*innen nachvollziehbar zu gestalten. Wirkt dies noch etwas unbeholfen, wird der Text dann immer dichter in der Vermischung des Wiedererkennens der Hand und den Schilderungen des Kommunenalltags. Und in der Wendung des Endes steckt sowohl Emanzipation als auch ein Überraschungsmoment, das Mut macht. Auch wenn es fast zu unwahrscheinlich klingt, um wahr zu sein.

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