Else Schmauch: Gedichte

Else Schmauchs Texte blicken überall hin: Auf den Boden. Auf die Hände. Auf die  Fingerspitzen. 

Sie blicken weg – wenn zum Beispiel eine Frau im Bus telefoniert (im Gedicht »unblick«). Und sie blicken hin: »Weit reicht von hier aus gesehen das Gras / und ebenerdig sieht und in der Mitte ein Baum wie ein Auge / flieht aus der Fläche des Gesichts«. Belichtet und beschattet erfährt die Sprecher*in der Texte, dass auch das Sichtbare eine Greifbarkeit mit sich trägt – und eine historische Kontingenz. Wenn das Ich des Gedichts »gründen« zum Beispiel erkennt, dass es ein »neues haus« bauen will, muss sie feststellen: 

bisher habe ich nur 
gräber und gräben 
gefunden, statt feldern
und flächen immer nur 
diese verdorbene haut. 

Es gibt nichts, was das lyrische Ich umgibt, das nicht auch verwest ist – auch wenn es lebendig über frisch »gewachsenes gras« liegt. In sehr präziser Sprache navigieren Schmauchs Texte das, was nach historischer und gegenwärtiger Gewalt übrig bleibt. Bei »betrachtung des bodens« richtet sich die Sprecher*in an uns: »gib deine / hand in die mutter / und ahne: / dieses da- / sein ist ein / erdiges.« Im Kontakt stellt das Ich fest, dass auch das hier, was wir jetzt tun, profan ist, wenn auch in lyrischer Sprache ertastet. 

Im Gedicht »suppe« werden Fingerspitzen betrachtet, da »verwesung beginnt in den / spitzen und im erfrieren / fallen die teile zuerst / ab.« Aber was verwest, geht nicht weg – es schickt uns eine Botschaft: 

… was man abwirft, wird 
dann häufig am nächsten tag
im briefkasten gefunden 
oder am abend in dem teller 
mit suppe.

Schmauchs Texte befinden sich oft in Gärten voller Gewächse, und jedes Bild stellt ein nicht statisches Ereignis dar. Ich bin gerade (mild, da geimpft) mit COVID-19 erkrankt, und musste von daher die diesjährigen Lesungen per Stream verfolgen. Ich sah Else Schmauch nicht, hörte aber die Stimme, und bekam mit, dass Schmauch ihre Texte auswendig rezitiert hat. Hier die letzte Zeile aus Schmauchs letztem Gedicht, ein wechselndes Bild, das mich verlässt:

Nach einem Gruss an dem Hals verlässt man das Bild, wechselt den Fuss und lässt andere geschehen. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.