Was macht man so, wenn man den Open Mike gewonnen hat? Juan S. Guse über Literatur, Wissenschaft und FIFA 13.
Hallo Juan, du hast gerade drei Monate im Lektorat bei Suhrkamp gearbeitet. Wie war’s dort?
Ich durfte dort für die edition suhrkamp/unseld arbeiten. Entsprechend habe ich hauptsächlich wissenschaftliche Manuskripte (Promotionen, &c.) gelesen und begutachtet. Das war cool. Nach ein paar Wochen habe ich dann auch für die Literatur lesen dürfen. Es war vor allem interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Bewertungsapparate sind, die man selbst heranzieht, das Instrumentarium der Kritik, usw. Wirklich nett dort. Neben meinem eigenen Literatur-Projekt mache ich mir gerade ein paar Überlegungen zur Erstellung eines Kataloges zur Bewertung von Literatur, aufbauend auf Luhmann. Das macht wirklich Spaß.
Wissenschaft und Literatur, kann bzw. sollte man das trennen? Oder stärker zusammenbringen?
Im besten Falle sind sie konvertibel. Nicht nur teilen sie eine inhärente Logik – das ist, ein Werk ist vergleichbar mit dem Aufstellen eines Arguments oder dem Beweis einer Formel -, sondern haben sie auch ähnliche Aufgabenfelder (wie auch immer man das nennen mag (Wahrheit wäre so eine Vokabel)) – im besten Falle, wie gesagt. Der einzige Unterschied ist die Form – eine solche „Gleichschaltung“ hat interessante Folgen für die Position des Lesers; er müsste sich, so wenn ich recht habe, ebenso mit Deleuze wie mit Goetz auseinandersetzen; Lesen ist entsprechend kein passiver Wellnessakt – was so lose gesagt natürlich trivial ist -, sondern Arbeit. Ein gutes Beispiel sind Essays, wie Die helle Kammer, die gleichermaßen als „wissenschaftliche“ Arbeit über Fotografie und als „literarische“ Arbeit Barthes über den Tod seiner Mutter gelesen werden kann. Ist das verständlich? Bei Luhmann beispielsweise sind Kunst und Wissenschaft ja Äpfel und Birnen, wenn ich mich nicht täusche (ich bin natürlich kein Gelehrter der Systemtheorie); Kunst verfügt in seinem Sinn nicht über einen vergleichbaren Code wie wahr/unwahr. Und natürlich haben die Kategorien ihren Sinn, jeder, der behauptet es gäbe keine Differenz, ist ein Scharlatan und Idiot. Ich glaube nur, dass alle Flüsse ins Meer münden (was ja nicht stimmt). Allerdings kann ich das alles noch nicht beweisen. Mal sehen.
Mir fällt da nur gerade spontan Thomas Bernhard ein, Korrektur, das lese ich gerade. Wie auch beim Kalkwerk: Beides Romane, in denen es vor allem um das Scheitern geht, vor allem aus dem Kalkwerk ist mir dieser Satz in Erinnerung geblieben, wo Konrad seine komplette Studie zum absoluten Gehör im Kopf hat und einfach auf das Papier kippen müsste, aber es nicht kann. Und in der Korrektur perfektioniert Roithamer seinen Plan vom perfekten Bauwerk bis zum Selbstmord. Ähnlich auch Frost und Untergeher. Und da wir in einer der letzten E-Mails über Wittgenstein sprachen: Bernhard hat glaube ich auch etwas über Wittgensteins Neffen geschrieben, das habe ich nicht gelesen, kennst du das?
Ja, Paul Wittgenstein. Das Buch müsste eigentlich zu seiner autobiographischen Serie zählen. Um Ludwig Wittgenstein geht es dabei aber kaum bis gar nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob im Buch der Tod seines Freundes als expliziter Anlass für diese Literatur genannt wird. Interessant ist aber, dass er, Bernhard, auch hier auf eine ihm typische Mechanik zurückgreift: Jemand, Bernhard, charakterisiert sich implizit selbst, indem er sich an einen Verstorbenen erinnert (vgl. Ungenach oder Auslöschung). Hast du Wittgenstein’s Mistress gelesen? Das und The Broom of the System sind absolut wahnsinnige Romane über L.W.
Woran arbeitest du gerade?
„Roman“ über Eremiten, „Essay“ über die Logik der Literatur, PROSANOVA 14, FIFA 13 (Eintracht Braunschweig).
Vielen Dank für das Gespräch!