„Der innere Drang muss da sein“

Am Mittwoch den 5.6. um 19 Uhr kommen in Frankfurt frische Texte auf die Bühne: Leon Disser,
Annika Hübner, Sandra Klose, Anna Lingnau, Sonja Popp, Sarah Röhrich, Daniel Schneider, Thomas Süsser, Anna Zähter, die Teilnehmer der Prosawerkstatt open writing unter der Leitung von Thomas von Steinaecker, präsentieren ihre besten Texte!

Bevor wir in den nächsten Tagen mit Thomas von Steinaecker reden, hier ein Interview, dass die Kollegen der Crespo Foundation mit Markus Orths geführt haben, der dreimal open writing geleitet hat.

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Herr Orths, Sie leiteten seit 2008 im Rahmen des »open mike« dreimal die Schreibwerkstatt für Schreibbegeisterte zwischen 17 und 21 Jahren: »open writing«. Früher, bevor Sie – sehr erfolgreich – Ihr Schreiben zum Hauptberuf machten, waren Sie Gymnasiallehrer. Was ist anders bei Ihrer heutigen Arbeit mit jungen Leuten?
Meine Schreibwerkstattschüler sind rundum motiviert, engagiert und leidenschaftlich bei der Sache. Und: Es sind nur zehn Schüler statt – wie oft in Schulen – über dreißig. So kann ganz anders gearbeitet werden.
open writing ermutigt junge Schreibende, kreative Prozesse zu entdecken: Gibt es Methoden, die auf die ganze Gruppe anwendbar sind, um Ideen zum Fließen zu bringen?
Anregungen wie automatisches Schreiben, Schreibanlässe -Themenvorgaben, Bilder, Stichworte-, das Wecken einer Lust am Schreiben durch Vorleben einer Liebe zur Literatur, das sind Möglichkeiten. Trotzdem ist mir sehr wichtig, die individuellen Voraussetzungen nicht zu nivellieren. Jeder soll von seinem eigenen Stand ausgehend versuchen, eine Entwicklung zu durchlaufen.
Da sitzen Ihnen nun ein Dutzend hellwacher junger Gesichter gegenüber: Wie beginnen Sie?
Erst mal mit einer Vorstellungsrunde. Dabei stehen die Schüler im Mittelpunkt. Wichtig ist, dass sich die Schüler untereinander gut kennen lernen, um einen produktiven Austausch anzuregen. Danach gehen wir gleich ins automatische Schreiben: Damit wird erst einmal der »innere Zensor« ausgeschaltet und die Schüler kommen eventuell nach einiger Zeit zu einem Bereich, der sie umtreibt und beschäftigt, zu etwas, worüber sie eigentlich gern schreiben möchten, zu einem Thema, einem Stoff, einer Frage.
Geht es Ihnen mehr um einen offenen Rahmen, der Potentiale ans Licht bringt, oder um ausgearbeitete Texte?
Um ersteres. Ich kann die Schüler nicht niederdrücken mit literarischen Erwartungen, sondern muss von dem ausgehen, was da ist und dieses auch annehmen. Es muss darum gehen, die Schüler in ihrer eigenen Art zu stärken, ihre Erstbegegnung mit Kreativität nicht mit Normen zu ersticken, sondern sie erst einmal zur Entfaltung kommen zu lassen. Dann kann man an den Texten feilen, Fragen stellen, Vorschläge machen, aber alles im Rahmen dessen, was sich da gezeigt hat.
Wie schreibsüchtig muss man sein, um das Zeug zum Autor zu haben?
Sehr. Ich muss jeden Tag schreiben wollen. Und zwar von innen heraus. Mit aller Leidenschaft. Wenn dieses Müssen nicht da ist, wird man nie Autor werden, denke ich. Das ist eine Voraussetzung, die ich als Lehrer nicht beeinflussen kann. Daher zwinge ich die Schüler auch nie zu irgendetwas. Wenn der innere Drang nicht da ist, dann hilft auch kein äußerer Zwang.
Sind »Schreibunis« wie Hildesheim und Leipzig notwendig, um sich professionellen Schliff anzueignen?
Juli Zeh, als prominentestes Beispiel für Leipzig, hätte sich mühelos auch ohne die Schreibuni durchgesetzt. Wer wirklich will, und will heißt – siehe oben – muss, setzt sich zwangsläufig durch, ob mit oder ohne Uni.
Wie schafft man es, die eigene Kreativität durch den Alltag zu retten?
Gerade aus der Kraft des Alltags. Nicht gegen, sondern mit dem Alltag. Der Alltag als Ruheinsel, als »wirkliches Leben«, meine Familie, meine Freunde, das alles ist der absolut wichtige Gegenpol zum Schreiben. Sonst würde ich am Schreibtisch irgendwann ertrinken.
Was ist Ihrer Erfahrung nach kreativer: Eine harmonische Gruppe oder eine, in der auch Konkurrenz und Wettbewerb knistern?
Grundsätzlich die harmonische Gruppe. So am Anfang stehend, ist eine große gegenseitige Unterstützung und ein Austausch das Wichtigste.
Bisher waren es fast ausschließlich Frauen, die open writing besuchten. Wie erklären Sie sich das?
Bei 40 Bewerbungen hatten wir 3 Männer dabei. Zwei hatte ich ausgewählt. Dann aber festgestellt, dass »Betül« auch ein Frauenname ist. Woran das liegt? Ich weiß es nicht!
Zum Abschluss von open writing findet immer eine Lesung im Literaturhaus Frankfurt statt. Wie wichtig ist es für die Schreibenden, sich vor Publikum zu präsentieren?
Ich glaube, sie erfahren dort erstmals die ganze Dimension dessen, was dies für sie bedeutet. Vor 150 Leuten zu lesen, das ist absolut aufregend. Ich selbst bin wesentlich nervöser als bei eigenen Lesungen, weil ich ja sehr wenig in der Hand habe und nicht weiß, wie die Schüler ihre Texte in dieser Situation rüberbringen.
Inwieweit wirkt sich die Arbeit mit der Schreibwerkstatt auch auf Ihre eigenen Schaffensprozesse aus?
Wir machen viel Theorie. Durch die guten Fragen der Schüler z.B. zu Problemen der Perspektive in einem Text werde auch ich dazu angehalten, über diese Dinge neu nachzudenken. Die Schüler sorgen immer wieder dafür, dass »Eingefahrenes« in meinem Kopf aufgebrochen wird. Das bedeutet mir viel.

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