In diesem Herbst erscheinen viele spannende Prosa- und Lyrikdebüts. Einige von ihnen stellen wir in den kommenden Wochen vor. Den Autoren haben wir ein paar Fragen zur Literatur und Person gestellt.
Heute: Rike Scheffler
„die klanggebilde. plosives skelett. gedichte als orte, ohne korsett. wo ich bin, wenn ich liebe. utopie und reprise. wie weit kann ein vokal mich tragen, silben, und ein fußpedal? brech dir kein haar. wenn ich drüber schreibe – bin ich schon zu spät.“
Wie lautet die erste Zeile in Ihrem Buch?
angenommen aber, man bastelt am großen abmalen
Was bedeutet literarische Tradition für Sie?
Geschichten, und wie wir gewohnt sind, sie zu hören,
sie zu nutzen, als Handschuh, zur Einrichtung in Realität.
Kluge Köpfe, Herrschaft, aber natürlich auch: große Inspiration.
In welcher anderen Sprache als ihrer Muttersprache würden Sie gern dichten können?
Das ändert sich immer, wenn ich mit einer neuen Sprache in Berührung komme. Gerade Dänisch. Wegen der schönen Diphthonge und Kehllaute. Ich habe den letzten Sommer in Kopenhagen verbracht, und viele Lesungen genossen, ohne auf semantischer Ebene alles zu verstehen. So konnte ich mich auf die klangliche Ebene konzentrieren. Ich mag die Balance zwischen den ausschweifenden Gesten der Vokallaute und den harten, geordneten Konsonanten, wie da der Kiefer plötzlich eine Etage tiefer sackt.
Eine zweite Sprache, die mich begeistert, ist Amharisch. Ich arbeite seit einigen Wochen mit der äthiopischen Dichterin Mihret Kebede an einer Performance für das „Festivial of Future Nows,“ das Anfang November in Berlin stattfindet. Ein großes Glück, diese Zusammenarbeit. Wir entwickeln gemeinsam einen lyrischen Dialog über politische und persönliche Distanzen, ein Gespräch über diese Gestrüppe von Nationalitäten und gesellschaftlichen Ordnungen hinweg – Mihret hat 7 Vokale, um zu kommunizieren, ich habe nur fünf!
Ist Lyrik essentiell?
(für mich) ja.
Was möchten Sie sein?
Während meiner Zeit in Dänemark traf ich auf Kutti Revathi, eine indische Dichterin, Ärztin, und Feministin. Kutti hat politische Bedrohung und Verleumdung erlebt, weil sie einen Gedichtband veröffentlicht hat, mit dem Titel „Mulaigal“ – zu Deutsch „Brüste,“ in dem sie neue, eigene Narrative für sich, ihren Körper, ihre Lebensrealitäten formuliert. Sie sagte im Gespräch mit mir: „Being a writer and being an activist are two sides of the same coin. I cannot see how anyone can seperate them.“ Und ich stimme ihr zu.
Was sollte man nach der Lektüre Ihres Buches machen?
Handeln. Und es genießen. ☺ Wer das Buch aufschlägt, findet dort auch schon Platz dafür, mal in leichtem, mal sehr ernstem Ton. Und falls die Ideen fehlen, gibt es Listen, Handlungsanweisungen, Instruktionen, die bereits Gedichte sind.
Viele der Texte handeln selbst, von Liebe, im weitesten Sinne. Und wenn ich „du“ schreibe, sind am Ende alle gemeint. Ich habe Platz gelassen, für die Leser_innen. Zwei Verse sind für mich hier bedeutsam: Einerseits ein Auszug aus Sapphos 16. Fragment, das dem ersten Kapitel vorangestellt ist: „it is what you love“, und andererseits der Titel „der rest ist resonanz.“ Die beiden ergeben für mich ein Spannungs-/Handlungsfeld, in das sich die Leser_innen durch die Lektüre der Gedichte begeben können. Und vielleicht kommt dann die Frage auf: Was ist es denn, was ich liebe? Und wie resoniert es in mir?
Im Gegensatz zu Linus Westheuser glaube ich nicht, dass Lyrik die Verbindung von Erleben und Handeln kappt. Ich mag es, wenn Sprache Gedichte und Klänge erzeugt, die anregen zur Bewegung, zum Tun, zur Reflexion. Im besten Fall schaffen es die Worte, Metaphern, mich, meine Wahrnehmung zu erweitern, sich einzuschleichen in Welt, im schönsten Fall gehen Erleben, Reflexion und Handlung Hand in Hand, trotz aller Widersprüche und Schwierigkeiten.
Rike Scheffler, geboren 1985 in Berlin, ist Lyrikerin und Musikerin. Ihre Texte veröffentlicht sie in Zeitschriften und Anthologien und vertont sie in Zusammenarbeit mit Musiker_innen zu szenischen Lied-, Text- und Klangcollagen. Sie studierte Psychologie (Diplom) in Berlin und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie ist Mitglied des Berliner Lyrikkollektivs G13. Die Gruppe verfolgt keine einheitliche Poetologie außer der, einen solidarisch-kritischen Austausch unter Schreibenden zu fördern. Gemeinsam entwickeln sie Bühnenprogramme in Kooperation mit Künstler_innen aus Bereichen der neuen Musik, dem Theater und der Oper. 2012 war Rike Scheffler Finalistin beim 20. Open Mike, 2014 Stipendiatin der Stiftung Brandenburger Tor in Kopenhagen. „der rest ist resonanz“ ist ihr erster Gedichtband.