Die Kandidaten des open mike 2014. Heute von A – Bec
***
Doris Anselm
Was lesen Sie grade?
Jan Wagner: »Die Eulenhasser in den Hallenhäusern«
Tina Uebel: »Last Exit Volksdorf«
Woran schreiben Sie derzeit?
Gerade schreibe ich über eine Firma, die versucht, Gefühle, Tugenden und Spiritualität so umzudeuten und zu vereinnahmen, dass sie einen finanziell berechenbaren Ertrag liefern.
Warum schreiben Sie?
Ich schreibe aus Freude daran. Um mir Fragen zu stellen. Weil ich gern allein bin. Aus Kontrollsucht. Weil es wahnsinnig effizient ist. Weil es wahnsinnig ineffizient ist. Weil ich dabei mit den Gefühlen Anderer spielen darf und sie das auch noch genießen. Als Widerstand. Um später sagen zu können, dass ich immerhin etwas gesagt habe.
Was bedeutet literarische Tradition für Sie?
Literarische Tradition ist eine endlos tiefe Dachbodenkiste, aus der ich Dinge und Kleider ziehe und probiere. Manche Stoffe fangen plötzlich an, sich in die Haut zu fressen. Manche Kleider sind schwer wie Rüstungen. Oft verstehe ich nicht, ob ich gerade einen Hut, eine Opferschale oder ein Musikinstrument in der Hand halte. Einige Dinge dienen entsetzlichen Zwecken. Andere nützen mir jeden Tag. Manche tun beides.
Welches Buch/ welcher Autor/ welche literarische Figur beeindruckt Sie?
Immer mal wieder lese ich »1984«. Das verstümmelte »Newspeak« ist das beste Argument für opulente Sprache. Und Orwell hat in dem Buch so ziemlich alles vorhergesehen … bis auf die Tatsache, dass ein Überwachungsstaat attraktiv, komfortabel und selbstregulierend sein kann und damit viel stabiler als jegliches »Regime«. – Der Autor Ira Levin beeindruckt mich, weil er fast vergessen ist. Nein, »Rosemary’s Baby« wurde nicht von Polanski erfunden. Sondern von Levin. Ebenso wie »Die Frauen von Stepford«. Er war ein Frauenversteher im Sinn eines Gespürs für Ur-Ängste. Ich wünsche mir sehr, dass auch seine »sanften Ungeheuer« endlich verfilmt werden, aber irgendwie passiert es nie. – Eine Figur, die mich sehr rührt, ist der »alte Minister« aus Andersens »Des Kaisers neue Kleider«. Als er die Kleider nicht sehen kann, bricht sein Selbstbild zusammen. Die Lüge danach fällt ihm sehr, sehr schwer. Er lügt sie gar nicht mehr für sich, sondern für die Anderen.
Doris Anselm wurde 1981 in Buxtehude/Niedersachsen geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim, anschließend absolvierte sie ein journalistisches Volontariat. Von ihr erschien bereits Prosa in Anthologien und Literaturzeitschriften, z.B. entwürfe, DUM und ]trash[pool. Ihre Kurzgeschichte »Rose und Marille« wurde mit dem Dichtungsring-Literaturpreis 2014 ausgezeichnet. Mit Lyrik war sie zum Literaturkolleg Ranis 2014 unter der Leitung von Nora Gomringer eingeladen. Doris Anselm lebt in Berlin und arbeitet als Radioreporterin.
***
Kathrin Bach
Was lesen Sie grade?
Leider nicht mehr Maruan Paschens Debüt »Kai«, weil es so schnell vorbei war. Dafür aber endlich die ersten Zeilen aus Lutz Seilers »Kruso«. Dazwischen etwas Marguerite Duras.
Woran schreiben Sie derzeit?
An zu vielen Berufsschulklausuren, zu wenig Lyrik.
Warum schreiben Sie?
Darüber musste ich schon eine ganze Masterarbeit schreiben. Heruntergebrochen auf 1 Seite ging darin die Antwort so:
WARUM
»Für die Figuren dieser Geschichte«
Andrea Del Fuégo
Für jegliche Katzen; dicke und dünne.
Und wegen der Schäume.
Welches Buch/ welcher Autor/ welche literarische Figur beeindruckt Sie?
Ilse Aichinger – weil sie jeden Tag ins Kino geht. Aber auch ihre Prosa. Und Dorothee Elmiger. Wenn ich irgendwann längere Prosa schreiben sollte, muss sie einer der Beiden ähneln.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Eine Mischung aus gereizt, müde, neben der Spur und vorfreudig.
Kathrin Bach wurde 1988 in Wiesbaden geboren. Zuletzt absolvierte sie das Masterstudium Literarisches Schreiben in Hildesheim und verbrachte längere Zeit in Marseille. Seit 2013 ist sie Teil des Netzwerkes für junge deutschsprachige Lyrik, Babelsprech. Sie veröffentlichte in Zeitschriften wie poet, wortwuchs, Landpartie und Sachen mit Wœrtern. Kathrin Bach lebt in Berlin und wird Buchhändlerin.
***
Jenifer Johanna Becker
Was lesen Sie gerade?
»Shoplifting from American Apparel« von Tao Lin
Woran schreiben Sie zurzeit?
An einem Roman über eine an mich selbst angelehnte Person Mitte 20, die an unterschiedlichen Romanen arbeitet. Dann gibt es da noch das Projekt Base Camp Solar, ein Roman über ein Mädchen, das in einem Ort lebt, der im Mondschatten von Solar liegt und dadurch in ein diffuses, grünes Licht gehüllt ist; einen Roman über bildende Künstler, die versuchen in der Provinz erfolgreich zu werden und sich mit einer Mutter in die Haare kriegen, weil sie Filme von kleinen Mädchen in Bikinis veröffentlichen; eine Dystopie, die in einem vom Meer abgeschnittenen Kamtschatka spielt und hauptsächlich um einen Zusammenschluss von Naturschützern kreist. Vielleicht sollte ich jetzt wieder an Molicure Moss arbeiten, das an Black Hole von Charles Burns angelehnt ist und eine Art deutsche Jugendkultur, die Mitte der Nullerjahre sehr präsent war, aufgreifen soll und diese Stimmung mit Science-Fiction-Elementen mixt.
Was bedeutet Literarische Tradition für Sie?
Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen. Oder: Ich möchte hier gerne für eine individuelle literarische Massenproduktion plädieren. Zudem für schöne Sätze.
Welches Buch / welcher Autor / welche literarische Figur beeindruckt sie?
»Die Abschaffung der Arten« / T.C. Boyle, Michel Houellebecq / Clay aus »Unter Null« von B.E.E.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Relativ stabil. Ich war heute Haare schneiden.
Jenifer Johanna Becker wurde 1988 in Mittelhessen geboren. Heute lebt sie in Hannover. Sie studierte Journalistik in Hannover und Literarisches Schreiben in Hildesheim. 2011 gewann sie den Literaturpreis Prenzlauer Berg. Von ihr erschienen bereits Texte in Zeitschriften und Anthologien.