Die Kandidaten des open mike 2014. Heute von Kan-Li
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Simone Kanter
Was lesen Sie grade?
Ich habe gerade mit »Masse und Macht« von Elias Canetti begonnen. Wunderbarer Einstieg: »Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.«
Zwischenzeitlich lese ich in Sir Arthur Conan Doyles »Die Abenteuer des Sherlock Holmes«.
Und dann lese ich noch hier und da. Jeder Raum der Wohnung ist Leseraum für ein anderes Buch. Auf dem Küchentisch liegen zwei Gedichtbände (Lavant und Küchenmeister). Gedichte lese ich am liebsten in der Stille des Morgens. Tee und Lyrik! Das ist doch ein guter Start in den Tag, oder?!
Woran schreiben Sie derzeit?
An unterschiedlichster Kurzprosa, aus deren Einzelteilen irgendwann ein Gesamtbild entstehen soll. Ob es bei der Entstehungsgeschichte bleiben wird, oder aber ich mein Vorhaben im Ziel beenden werde, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ein wenig ins Ungewisse.
Warum schreiben Sie?
Diese Frage habe ich seit Jahren versucht für mich zu beantworten. Vielleicht liegen Antworten in dem, was Schreiben für mich bedeutet. Die Bedeutung oder auch die Erfahrung während des Schreibens sind nicht unbedingt Gründe für das Schreiben. Dieses Fragewort WARUM scheint immer einen Grund, eine Ursache ausmachen zu wollen, und damit das Schreiben als eine Folge dieser Ursache darzustellen. Ich habe nicht das Gefühl oder auch nicht das Bedürfnis für das Schreiben einen Grund zu suchen oder zu benennen.
Was eine interessante Erfahrung während des Schreibens für mich ist, ist die Möglichkeit in andere Erlebens- und Empfindungsräume einzusteigen. Ich kann schreibend in Leben und Situationen eintauchen, die nicht unbedingt aus meiner doch begrenzten und eigenen Erfahrungswelt stammen. Ich habe vielleicht etwas gehört oder gelesen und das beschäftigt mich dann, dass ich beginne darüber zu schreiben. Also fühle ich mich ein. Ich nehme mir eine Figur stelle sie in den Raum und schaue bzw. schreibe.
Schreiben ist ja außerdem ein Sichtbarmachen von Gedankenwegen sowie Gefühlslagen, ein Sichtbarmachen von Innenwelten. Und dieses Antasten und Aufzeigen möchte ich nicht missen. Also: Schreiben!
Im Schreiben oder während des Schreibvorgangs summiere ich meine Wahrnehmungen, ich reflektiere und teste aus, nicht nur Lebens- und Erfahrungsräume, sondern ebenso die Sprache. Wohin und wie lässt sich ein Wort und dessen Bedeutung/en dehnen, welcher Rhythmus entsteht, welche Geschwindigkeit. Das alles lässt sich durch Wortaneinanderreihungen ausloten. Das ist doch einfach wunderbar!
Zusammengefasst:
Schreiben, um wahrzunehmen, zu reflektieren, auszuloten, sichtbar zu machen, zu verstehen, Ausdruck zu finden, zu durchdenken, erfahrbar zu machen, Sprache auch zu benutzen, sogar auszunutzen.
Welches Buch/ welcher Autor/ welche literarische Figur beeindruckt Sie?
Momentan die Autorin Esther Kinsky.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Inzwischen wieder geerdet. Bis vor drei Tagen war ich noch in Zuständen, denen ich körperlich gar keinen Ausdruck verleihen konnte. Die Nachricht, beim Finale des open mike dabei sein zu dürfen, hat mich etwas ins emotionale und womöglich zeitweise auch ins rationale Abseits gestellt. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie es in diesen Zuständen um meine geistige Verfasstheit bestellt war. Ich ahnte ja nicht, dass das alles hier auf mich zukommen würde.
Simone Kanter wurde 1981 in Herzberg/Elster geboren, wo sie ihr Abitur ablegte. 2001 begann sie ein Studium der klassischen Literaturwissenschaft in Köln, was sie jedoch abbrach um eine Ausbildung zur Buchhändlerin zu beginnen. Seither war sie als Buchhändlerin tätig und studierte zwischenzeitlich im Fernstudium Kulturwissenschaften. Simone Kanter lebt und arbeitet in Berlin.
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Eva Maria Leuenberger
Was lesen Sie gerade?
New & Selected Essays von Denise Levertov
Woran schreiben Sie derzeit?
An der theoretischen Bachelorarbeit fürs Literaturinstitut. Eines dieser Dinge, die man leider machen muss.
Warum schreiben Sie?
Weil es schön ist, und manchmal scheisse, und weil ich nichts Anderes wirklich kann.
Welches Buch/ welcher Autor/ welche literarische Figur beeindruckt Sie?
»The Descent of Alette« von Alice Notley, weil man sich gegen dessen Sog und Rhythmus nicht wehren kann, auch wenn man es will. Und »Madness, Rack and Honey«, die gesammelten Vorlesungen von Mary Ruefle, weil man sie liest und sofort anfangen möchte zu schreiben.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Zuviel Kaffee, aber sonst gut.
Eva Maria Leuenberger wurde 1991 in Bern geboren. Sie studierte Anglistik an der Universität Bern, bevor sie 2012 zum Schweizerischen Literaturinstitut in Biel wechselte. Sie lebt und schreibt in Biel. Eva Maria Leuenberger veröffentlichte unter anderem in La Liesette Litteraire und mädbooks, Kolumnen für das Bieler Tagblatt. Sie war Finalistin beim Treibhaus-Literaturfest 2014.
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Nora Linnemann
Was lesen Sie gerade?
Marcel Bénabou: »Warum ich keines meiner Bücher geschrieben habe«.
Warum schreiben Sie?
Gönn dir Buchstabensüppchen, ’s lecker-fein!
Welche literarische Figur beeindruckt Sie?
Horse Badorties, der »Fan Man« von Kotzwinkle.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Bombe, sagt der Arzt.
Der erste Satz Ihres open mike-Textes?
Wollta hören, kommta rum.
Nora Linnemann wurde 1981 geboren. Sie studierte Schauspiel in Berlin, arbeitete als Schauspielerin und Sprecherin. Von 2011-2014 studierte sie Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, seit Oktober 2014 ist sie im Masterstudiengang Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften.