Ein schrumpfender Freundeskreis Hiesiger, die nach ihrer Kindheit auch die Studienzeit am gleichen Ort verbringen. Ein selbstgewisses „Wir“ spricht in Marie Gamillschegs Text, das aufgerüttelt wird, als einer von ihnen der Stadt den Rücken kehrt. Und dann ist auch noch der Wisewsky tot, der Eckkneipenwirt, bei dem sie immer Brötchen holten. Diese Ereignisse: ein Sturz des königlichen „Wir“. Zu spät merkt die Clique, dass sie längst entthront ist: Das hippe Stadtleben ist weitergezogen in ein anders Viertel, und mit endlosem Studieren lassen sich offenbar auch die gefürchteten Abschiede nicht aufhalten. Marie Gamillscheg erzählt in kurzen, präzisen Wolf Haas-Sätzen von diesen Frühveralteten, die im zeitlosen Zwischen von Jugend und Erwachsensein hängen geblieben sind und von ihrem wegzugwilligen Freund erstmals gefragt werden: „Wieso machen wir uns nie Gedanken“? Den Erkenntnisschock der Ignoranten, denen das Leben zu Moder zerfällt, noch bevor es begonnen hat, beschreibt und liest Marie Gamillscheg direkt und auf den Punkt. Gelungen.
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Leseprobe: Marie Gamillscheg; Die Stadt ist tot
Der Wisewsky ist tot. Er hat sich in der Badewanne erschossen, hat die Gerti von der Bäckerei gesagt, die war mit ihm befreundet. Das haben wir erst nach seinem Tod erfahren. Wir haben immer gedacht, dass der Wisewsky keine Freunde hat. Wozu auch. Er hat seine Bar und seine belegten Brötchen, mehr braucht er nicht, haben wir gedacht. Und den Karl hatte er schließlich auch, der war jeden Tag da, mit dem hat er Karten gespielt und über Politik geredet, über Pröll und über die Kronenzeitung. Und darüber, dass früher alles anders war.
Es regnet, als wir vor dem Wisewsky stehen, wo ein »Zu verkaufen«-Schild auf einen Makler verweist. »Wie passend«, sagt Fabian und raucht. Eine Hand am Stehtisch, wo Karl im Sommer immer gestanden ist. »Die Herbste werden immer grauer«, hast du vor einigen Wochen gesagt und vielleicht hast du recht, denken wir uns heute. Du verstehst diese Herbst-Nostalgiker nicht, hast du gesagt, Herbst ist nur für drei Tage schön, wenn die Blätter orangefarben sind und die Sonne warm auf die Haut fällt. Danach sind die Blätter sofort braun und das Leben grau, die Straßen färben auf die Häuser und auf die Menschen ab und wir verstecken uns unter Decken, auf Sofas und in dunklen Mänteln und hoffen auf das Abendlicht, das einem manchmal schöne Zeiten vorspielt. Sonntags gehen die Menschen nicht außer Haus, als hätten sie Angst, dass die Tristesse des leeren Tages ihren Alltag noch weiter trübt.
Niemand will der Ampel gehorchen, wenn sie rot, orange und grün und wieder rot wird. Fabian steigt in die Pfütze, die sich am Randstein angesammelt hat. Im Sommer stehen die Autos hier im Stau, als hätte der Wisewsky am Eck einen McDrive und sie würden alle bei ihm Schlange stehen. Dabei fahren sie immer nur an ihm vorbei.