Alpha es et O, liebes Tischgespräch: Die Blogredaktion haut anlässlich des 22. open mike noch ein letztes Mal in die Tasten. Und die Letzte macht den Laptop aus. Schön war’s!
Elena: Hallo, Ihr Beiden! Wie geht’s Euch? Wieder gesund?
Theresa: Berechtigte Frage. Es war wirklich verrückt: Noch am Abschlussabend des open mike bin ich mit Fieber ins Bett gefallen und erst anderthalb Wochen später wieder „auferstanden“. Aber jetzt bin ich wieder fit, endlich! Aber so hatte ich schön viel Zeit, die Berichterstattung zum Wettbewerb zu verfolgen. Ich hoffe, Dir geht es auch wieder gut, Mara?
Mara: Ich bin zum Glück auch wieder fit! Der open mike bot nicht nur interessante neue Stimmen, sondern auch zahlreiche freifliegende Viren.
Elena: Da hüstle ich jetzt verlegen: Ich saß während der Lesungen als zentraler Virenverteiler zwischen Euch. Während ich das Schlimmste nach dem Wochenende schon überstanden hatte, hat’s Euch ja erst danach richtig erwischt. Ich habe das open mike-Wochenende nicht im Fieberwahn erlebt, aber am Sonntag hatte meine Textproduktion schon etwas von automatischem Schreiben.
Mara: Was ist Euch denn sonst so in Erinnerung geblieben? Der open mike liegt jetzt ja schon unglaubliche drei Wochen zurück.
Theresa: Viele, viele Eindrücke! Von Adrenalin und Stress pur bis zum andächtigen Lauschen der Texte, vom Geschmack der Nervennahrung – Dein Studentenfutter war Gold wert, Elena – zum wohlverdienten Feierabendbierchen. Und dann natürlich Texte, Texte, Texte, Hören, (Korrektur-)Lesen, Schreiben. Das war schon knallig. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, vor lauter Tippen und Klicken und scheiternden Uploads (das Internet hat uns streckenweise ja schon ganz schön im Stich gelassen) geht die Hälfte des Wettbewerbs an mir vorüber – das Pausengetuschel, das geschäftige Treiben im Foyer… Aber es war ein tolles Wochenende.
Mara: Geblieben ist dieses berauschende Gefühl, sich drei Tage lang in einer Literaturblase zu bewegen. Ich hatte am darauffolgenden Montag leichte Entzugserscheinungen und musste mich erst einmal wieder in diesem Alltag zurecht finden. Ich weiß gar nicht genau, wie ich das beschreiben soll, aber durch den Heimathafen waberte so ein Flirren, das ich total gerne aufgesaugt habe.
Elena: Literaturblase trifft’s ziemlich genau: Wir haben gehört, gelesen und getextet, während draußen ganz Berlin das Wendejubiläum gefeiert hat. Davon habe ich nichts mitbekommen. Wir hätten auch in einer Raumkapsel im Orbit treiben können.
Mara: Darüber hinaus ist mir natürlich auch in Erinnerung geblieben, dass ich zum ersten Mal meine Blogkomfortzone verlassen musste, denn eigentlich arbeite ich immer ganz in Ruhe und häppchenweise an meinen Texten, die manchmal sogar noch eine Nacht unter meinem Kopfkissen liegen bleiben, bevor sie veröffentlicht werden. Mir hat diese neue Art des Schreibens sehr gut gefallen und ich hoffe, ich kann einiges davon in meinen Alltag mit hinüberretten.
Elena: Bestimmt, Ihr habt tolle Texte produziert, wie ich finde! Und Dein Bericht vom Projekt „Annäherung an die Lyrik“ kommt ja erst noch, Mara. Da bin ich gespannt. Ich habe jedenfalls sehr gerne mit Euch zusammen gearbeitet, das war ein mal hektisches, mal erschöpftes, aber einträchtig-konzentriertes und immer grundentspanntes Arbeiten. Schön fand ich auch, dass wir schon vor den Lesungen intensiv über die Texte diskutiert haben. Anders als die Jury hatten wir einen Lesevorsprung und das streng vertrauliche PDF schon Tage vor dem Wettbewerb auf dem Rechner. Hat sich eigentlich Eure Einschätzung von Texten gewandelt, wenn Ihr jetzt mit einigem zeitlichen Abstand darüber nachdenkt?
Theresa: Ich habe tatsächlich noch lange über einige Beiträge nachgedacht. Letzten Endes war meine Einschätzung dann immer ähnlich wie bereits im Wettbewerb. Aber ich habe das Gefühl, meine Meinung besser begründen zu können. Die Texte mussten sich sozusagen erst einmal setzen. Das ist schön, weil man mit zeitlichem Abstand noch einmal ganz andere Qualitäten erkennt. Andererseits macht die Spontanität der Livekritik ja auch den Reiz aus: Man steht unter Strom, ist fehlbar – aber raus damit.
Mara: Ich bin vor allem dadurch, dass ich bei den Lesungen den Texten zuhören konnte, der Lyrik noch einmal näher gekommen. Viele der Gedichte haben mir beim Selberlesen nicht allzu viel gesagt. Diese Erfahrung, dass ein Text beim Hören eine ganz andere – vielleicht auch tiefere – Wirkung haben kann, war für mich neu und außerordentlich spannend.
Elena: Das Hörerlebnis finde ich auch immer wieder beeindruckend. Zwar hat sich bei keinem Text meine vorherige Einschätzung um 180 Grad gedreht, aber es sind durch die Bühnenpräsentation viele neue Zwischentöne dazugekommen. Mit Doris Anselm und Mareike Schneider sind ja zwei unserer frühen Redaktionsfavoritinnen ausgezeichnet worden. Robert Stripling hingegen hatte keine von uns als Gewinner auf dem Schirm, genauso wenig wie den Publikumsgewinner Gerasimos Bekas. Seid Ihr insgesamt d’accord mit den Entscheidungen der Jurys?
Theresa: Ich habe mich sehr für Doris Anselm gefreut – es war der erste Text, den ich überhaupt gelesen hatte und ich dachte von Anfang an: Das ist was Besonderes. Bei Mareike Schneider war es ähnlich, obwohl mich ihre Art vorzulesen nicht so überzeugt hat. Zu Robert Striplings Texten hatte ich zugegebenermaßen keinen rechten Zugang gefunden und er war mir als Startnummer Eins ein wenig durchgerutscht. Als er am Ende noch einmal gelesen hat dachte ich aber: Ja, ich bin d’accord.
Mara: Ich muss gestehen, dass ich große Schwierigkeiten hatte mit dem Text von Doris Anselm – als ich ihn gelesen habe. Als sie ihn jedoch vorlas, hatte er dann doch eine ganz andere Wirkung. Das knüpft wohl wieder an meine vorherige Antwort an. Ich habe mich sehr für sie gefreut und der Satz „Demokratie deine Mutter“ spukt mir immer noch im Kopf herum. Das muss dann wohl für die Qualität des Textes sprechen, oder?
Elena: Ja, das ist es auch, was mich an Robert Striplings Prosagedichten so irritiert: dass ich beim ersten Lesen an keiner Formulierung hängen geblieben bin. Ich habe die Gedichte vor dem Wettbewerb gelesen, währenddessen auch zweimal – und beim Wiederlesen meiner Livekritik gemerkt, dass da schon viel Stoff drinsteckt. Aber sie bewegen wenig in mir, wirken auf mich ungemein distanziert und verkapselt, von daher hat mich die Entscheidung schon überrascht. Ich hätte gerne noch eine etwas ausführlichere Begründung von der Jury gehört – oder mir eine längere Ausführung von Andreas Maier gewünscht, der die Gedichte von Özlem Özgül Dündar favorisierte und sagte, er habe wohl eine andere Auffassung von Lyrik heute als seine JurykollegInnen. Hätte ich in dem Kurzinterview mit ihm mal nachgefragt… Dass Gerasimos Bekas den Preis der Publikumsjury erhalten hat, ist stimmig, denn er wurde in den Pausengesprächen als ein Favorit genannt, wie Du berichtet hast, Mara. Insgesamt finde ich die Juryentscheide also geglückt. Und ich habe die Atmosphäre in der „Kirche der Literatur“ einmal mehr genossen. Ich würde also sagen: Wir sehen uns im nächsten Jahr!
Theresa: Ich hoffe es, schön war’s!