Demian Lienhard, Arnold Maxwill & Christian Mitzenmacher
Demian Lienhard
Was liest Du gerade?
Viel zu viel gleichzeitig. Im Zug »Roman mit Kokain« von M. Agejew und „Mars“ von Fritz Zorn. In den Pausen und an der Tramhaltestelle die »Maulwürfe« von Günther Eich und die »Selbstbetrachtungen« von Marc Aurel. Auf dem Nachttisch liegen »Schlechte Wörter« von Ilse Aichinger, »Das Buch der Unruhe« von Fernando Pessoa und eine Kulturgeschichte des Aquariums. Daraus ergeben sich allzu oft unruhige römische Kaiser, die im Aquarium ertrinken und selbstreflexierende Maulwürfe , die schlechtes Kokain schnupfen. Aber das ist gut so. Glaube ich.
Woran schreibst Du gerade?
Samstags und sonntags an einem Roman. Montags bis freitags an meiner Dissertation. Manchmal auch umgekehrt.
Was bedeutet Literatur für Dich?
Alles. Nicht mehr und nicht weniger. Literatur bedeutet, in sicherem Unterstand mit Varianten des Lebens und des Sterbens zu experimentieren. Literatur steht am Anfang meiner Phantasie und immer wieder auch in deren Fortsetzung. Literatur steht vor allem auch am Anfang meiner Texte. Sie liefert Ideen, eine Stimmung, ein Bild, einen Satz, aus denen neue Sätze und schließlich Texte entstehen.
Wer sind Deine literarischen Helden?
Die Ich-Erzähler in den Satiren von Horaz, in Thomas Bernhards Spätwerken, und in »Die Haut« von Curzio Malaparte, die Protagonisten Tito Arnaudi in Pitigrillis »Kokain« und Wolfram Schöllkopf in Hermann Burgers »Die künstliche Mutter«. Keine Helden also, eher Antihelden, ewige Schwätzer, Nörgler, Spötter, Zögerer und Zauderer, die sich in Wort und Tat ständig widersprechen, überholen, überschlagen. Ihre assoziative, bildhafte, kaskadenartige Sprache, die noch im Moment des Ausgesprochen Werdens nach dem richtigen Ausdruck sucht, genügt sich selbst, sie ist es, die den Leser vorwärts treibt, die Handlung wird zum Gehäuse wie ein Museum, das den funkelnden Gegenständen in ihm Schutz, Halt und ein Dach bietet, selbst aber beinah unsichtbar im Hintergrund bleibt. Sollte ich jemals eine solche Erzählerstimme finden, weiß ich: Ich bin am Ziel.
Wem erzählst Du Deine Geschichten?
Zunächst und vor allen Dingen meinem Alter Ego, das von Tagesanbruch bis zum Einnachten nach neuen Geschichten verlangt und sie gleich selbst zu spinnen beginnt.
Deine gegenwärtige Geistesverfassung?
Aufgekratzt.
Erster Satz/Vers Deines open mike-Textes?
»Die Nacht zog sich zusammen und die Dunkelheit schwand.«
Demian Lienhard, 1987 in Baden (Schweiz) geboren. Er hat in Zürich, Köln und Rom Klassische Archäologie, Lateinische Philologie und Hispanistik studiert. An denselben Orten sowie in Berlin hat er seine kurz vor dem Abschluss stehende Dissertation verfasst. Berufliche Stationen in Albanien, Griechenland und Italien. Demian Lienhard schreibt Prosa: Lyrische Miniaturen, Kurzgeschichten, längere Erzählungen. Er hat zahlreiche Texte in Literaturzeitschriften (u.a. Das Narr, Lichtungen) veröffentlicht. Im Juni 2014 gewann er den Wettbewerb »Text des Monats« des Literaturhauses Zürich, 2015 belegte er den 1. Platz beim A4 gewinnt-Wettbewerb des Literaturhauses Lenzburg.
Demian Lienhard wurde ausgewählt von Esther Kormann.
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Arnold Maxwill
Was liest Du gerade?
Eigene und fremde Texte, die übliche Mischung.
Was liest Du gerade?
Es gibt ein mehrschichtiges Rotationssystem, dessen Mechanik mir bekannt, doch nicht wirklich vertraut ist (und so will es wohl haben). Heute lese ich Thorsten Krämers Cardigan, parallel seit einiger Zeit Sándor Márais Aufzeichnungen und Waltraud Seidlhofers Bücher, Kathrin Schmidts Go-In der Belladonnen etc. und seit vielen Monaten immer und immer wieder (nur einzelne Seiten, meist auch auf der Suche nach bestimmten Passagen) Brigitte Oleschinskis Reizstrom in Aspik.
Was liest Du gerade?
Teer, Wimpern, meist recht schlecht Begrenztes.
Was liest Du gerade?
Ich las in der Auslage der Buchhandlung hinterm Bochumer Schauspielhaus. Nur durch Zufall sah ich: Unmittelbar neben dem Eingang klebte ein Gedicht. Und diese Entdeckung machte mich froh. Ein, zwei Verse trug ich für die nächsten Meter mit mir. Und frug mich: Weshalb den öffentlichen Raum nicht öfter einmal mit Poesie aufmischen? Er kann’s vertragen. Aber bitte nicht als Stadtmarketingstrategie, also nicht nur Else Lasker-Schüler an Wuppertaler Fassaden, nein, gerne auch Barbara Köhler in Kiel, Robert Stripling in Stendal oder Saarbrücken. – Weshalb eigentlich nicht?
Erster Vers Deines Textes?
du siehst den Ort.
Arnold Maxwill, 1984 am Niederrhein geboren. Studium der Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Wien und Münster. Er lebt und arbeitet in Dortmund. Veröffentlichungen in Anthologien. Finalist des 22. und 23. Open Mike. Förderpreis der Stadt Dortmund für junge Künstler 2016. GWK-Förderpreis für Literatur 2016.
Arnold Maxwill wurde ausgewählt von Daniela Seel.
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Christian Mitzenmacher
Was liest Du gerade?
Ich lese gerade Robert Seethaler „Der Trafikant“ und Marina Keegan „The Opposite of Loneliness“. Beide Bücher sind stark.
Woran schreibst Du gerade?
Ich schreibe gerade über die psychiatrische Station des Klinikums Schwabing.
Was bedeutet Literatur für Dich?
Im Leben so viele Dinge erleben und erfühlen zu können wie möglich.
Wer sind Deine literarischen Helden?
Wenn damit Figuren gemeint sind, dann sind das Professor Severus Snape aus „Harry Potter“ und der Physiker David Mahler aus Daniel Kehlmanns „Mahlers Zeit“. Wenn damit Autoren gemeint sind, dann Philip Roth und Rainer Merkel.
Wem erzählst Du Deine Geschichten?
Wirklich nur denen, die sie hören möchten.
Deine gegenwärtige Geistesverfassung?
Bei mir wechseln sich immer Input-Phasen und Output-Phasen ab. Die Input-Phasen sind anstrengender. Gerade ist Output-Phase.
Erster Satz/Vers Deines open mike-Textes?
Eine Edeka-WG stell ich mir so vor:
Christian Mitzenmacher, geboren 1986 in Oberschwaben, aufgewachsen in Bad Buchau am Federsee. Studium der Mathematik (München, Barcelona), aktuell Endphase der Promotion in Operations Research (TUM, MIT). Jahrgang 2014 der Bayerischen Akademie des Schreibens. Seit 2012 Pate für unbegleiteten afghanischen Flüchtling. Wiederentdecktes Hobby: Zelten am Ozean. Neues Hobby: Imitieren von Lucky Blue Smith.
Christian Mitzenmacher wurde ausgewählt von Esther Kormann.