Christof Zurschmitten: „Fleisch von unserem Fleisch“

Relevanz, endlich! In der Begründung des Lektorats für die Erzählung Fleisch von unserem Fleisch wird mit Stolz darauf hingewiesen, mit Christof Zurschmitten einen Beiträger zum open mike eingeladen zu haben, der sich einem gesellschaftlich akuten Sujet anzunehmen getraue: der Tierhaltung, der Tiertötung und dem Fleischkonsum. Der Text steht freilich in einer langen Tradition, es sei an Tiere essen von Jonathan Safran Foer erinnert oder an den niederländischen Autor Arnon Grünberg, der zusammen mit Ijoma Mangold eine Schlachterei besuchte, um sich vorzubereiten auf sein neuestes Buch.

Klug war Zurschmittens Entscheidung, einen Ich-Erzähler einzusetzen, der als Journalist über vegetarische oder, hm, wie nennen wir das jetzt, vielleicht: fleischachtsame Lebensentwürfe berichten möchte. Der Autor kann sich eine nüchterne Stimme aneignen, die primär auf Information und Durchleuchtung aus ist – und heraus kommt ein Zwittertext, der sowohl Reportage als auch Erzählung ist. Es fällt auf: Fleisch von unserem Fleisch ist bisher der einzige Beitrag, der sich an einer Weitung beziehungsweise Flexibilisierung der Gattungen versucht, indem er Dokumentation und Fiktion kombiniert.

Auf unserer Suche waren wir vor einem halben Jahr auf die Website unser-fleisch.com gestoßen, auf der wir ein, O-Ton, glückliches Freilandferkel gekauft hatten. Wir hatten jeden Monat ein Bild unseres Sprösslings in unserer Mailbox gefunden, auf dem das Tier neugierig in die Kamera blickte, im Hintergrund das vielbeschworene freie Land, und im Zeitraffer Speck ansetzte.

Es geht um Patenschaften für Ferkel, die über die Homepage www.unser-fleisch.com vom Ich-Erzähler und Bekannten übernommen werden. Darum, wie die Gruppe nach einiger Zeit zur Schlachtung eingeladen wird und darum, wie die einzelnen Figuren auf die an sich gänzlich bescheuerte Situation, das eigene Patentier umzubringen, reagieren. Man muss sich das einmal vorstellen, bevor man durch den Sog der Erzählung vorgemacht bekommt, alles hier sei ganz normal und üblich: Du kriegst Postkarten von Deinem Patenschwein zugeschickt, Du siehst, wie es heranwächst. Dann wirst Du eingeladen, bekommst ein Bolzenschussgerät in die Hand gedrückt und Dir wird die hehre Aufgabe zuteil, Dein zukünftiges Fleisch zu schlachten.

Zurschmittens Text vermeidet es, sich hinter der so bequemen wie süffisanten Position des Spötters zu verschanzen, der über hypersensible Vegetarier*innen herzieht. Zugleich gibt es nicht einen Satz, der sich durch missionarische Besserwisserei auszeichnet. Und trotzdem gelingt es ihm, einen fairen, triftigen und letztlich entlarvenden Blick zu werfen auf eine Debatte, deren Fronten immer hysterischer verteidigt und ausgebaut werden.

 

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