Was sich wie die Geschichte einer verliebten Ausreißerin anlässt, entpuppt sich bei Julia Powalla als tragische Familiengeschichte mit inzestuösen Anwandlungen. Aber von vorne:
Zoey wurde versetzt, von Maarten, der ihr seinen alten Bauwagen in der Wagenburg zeigen wollte, weit draußen im Wald. Statt auf ihn trifft sie auf eine Horde Kinder in Indianerkostüm und Robert, der die Indianer väterlich bewacht – es seien ja nicht seine eigenen.
Dann: Die Annäherung. Zoey fühlt sich hingezogen zu diesem Robert mit seiner Lebenserfahrung und seiner buddhistischen Aussteigermentalität. Doch wo eine Spannung entstehen sollte, wirkt die schnelle, sexuelle Anziehung dieser beiden Fremden eher unmotiviert, unrealistisch und die Begierde verkommt zum Mittel zum Zweck für die anstehende Wendung. Als Zoey sich auf einen Tee in Roberts „weinrot gestrichenen“ Bauwagen einladen lässt und er unter beginnenden Streicheleinheiten fragt, ob sie denn gerade verliebt sei, ist das zu viel Vertrautheit in zu kurzer Zeit.
»Wann hast du zum ersten Mal ein Retreat mitgemacht?«, fragte sie.
»Als mein Vater gestorben ist.«
»Oh, entschuldige.«
»Lange her«, sagte er, »zwanzig Jahre.«
Er erzählte von einem bösartigen Tumor, der zu einem schnellen Tod geführt hatte mitten in einem Streit, den Robert nicht mehr hatte beenden können.
Schließlich: der Wendepunkt. Zoey erblickt ein Foto. „Das bin ich“, sagt sie. Und Robert? Der lacht und erwidert, dass das nicht seien könne, denn auf dem Foto, dass sei doch seine „To…“chter! Der Beginn des Textes lässt nicht erwarten, dass Zoey in diesem Fremden ihren Vater findet. Den Mann, von dem die Mutter immer sagte, dass er sie nie gewollt habe. Und jetzt wohnt er hier, im Bauwagen im Wald, dort, wo sie eigentlich ihren Maarten hatte treffen wollen.
Auch wenn der Text sprachlich anspruchsvoll und sauber ist, wirkt er durch den Kniff mit dem Foto und den wiederkehrenden Familien-Motiven zu konstruiert. Marion Kohler sprach in ihrer Einführung von den „Leerstellen“ mit denen der Text arbeite. Für mich wirken diese Stellen allerdings mehr als ausgefüllt.
Auch eine Meinung zum Text? Wir freuen uns über Eure Kommentare!
2 Gedanken zu “Julia Powalla: „Unter den Eichen“”
Spannend zu lesen, die Zusammenfassung! Dreh- und Angelpunkt dieser Kritik ist ja die zu schnelle Annäherung, die in der Lesart natürlich eine Konstruiertheit zur Folge hat. Schnell ist sie, ja. Die Interpretation „zu schnell“ kann natürlich einerseits an die individuelle Erfahrungswelt anknüpfen. Andererseits klingt es so, als sei das von mir angelegte Crescendo in deinem Hörerlebnis eher ein Subito Forte gewesen – also erst sehr spät im Text sichtbar geworden, als die beiden seinen Wagen betreten. Aber freut mich sehr, dass der Text sprachlich überzeugt hat.