Für Schwesternsitz hat sich Autorin Marit Heuß Emily Dickinson zum Vorbild oder vielmehr zum Dialog (vor-)genommen. Ihr Langgedicht, das sich über acht Seiten erstreckt, mutet an wie ein Briefwechsel oder Zwiegespräch des lyrischen Ich mit der 1886 verstorbenen amerikanischen Dichterin. Sehr intim, sehr dicht erleben die Leser*innen das Ich und seine Annäherung an „E d“. Fast fühlt es sich an, als belausche man die beiden bei ihrem Gespräch über die Stadt, das Innen und das Außen. Marit Heuß ruhiger und betonter Vortrag verstärkt diese Intimität:
haben uns an diese alte Stadt
wie an Fremdes ausgeliehen,
schrein, wenn wir in Hauseingängen
Betrunkne stehen sehen
E d oder Emily tritt immer wieder zutage, die Gedichte tragen Züge der Autorin, von der man weiß, dass sie wohl selten das Haus verließ, an Depressionen litt. Die Zeilen, in denen Dickinson scheinbar zu Wort kommt, wirken nach innen gekehrt im Gegensatz zum lyrischen Ich, das immer wieder raus will und gegen das Verharren in ihrem Appartment aktiv angeht. Die Diskrepanz zwischen dem Hinaustreten in die Welt und dem Zurückkehren ins Heim, das Sich-verorten ist ein Thema der Gedichte.
wir bringen uns kein Glück, E d
du mir nicht in deinem Zimmer
auf dem Land, ich dir nicht
in diesem Appartement
vor meiner Tür diese Hinterhauslandschaft,
Zittern der Gardinen
vor der offnen Tür, das Ausöden
des Sommers
Trotz dieser Unterschiede zwischen den beiden Dialogpartnerinnen geschieht, wie beiläufig, ihre Verschwesterung. Auch Daniela Seel hebt in ihrer Ansprache hervor, dass die Gedichte die Frage aufwerfen, inwiefern literarische und eigene Lebenspraxis ineinandergreifen. Marit Heuß ist dieser lyrischer Briefwechsel deutlich gelungen.
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