Lea Wintterlin: „Turtle“

Ein Ausflug nach Schweden, eine Backbackertour, die zum Scheitern verurteilt ist, und ein Text, der daherkommt wie die Geschichte einer sich selbst bemitleidenden ERASMUS-Studentin. Die Erzählerin dieses Beitrags ist Teil einer Generation, die es nirgendwo mehr aushält oder zumindest denkt, dass Aushalten keine Alternative ist. Und jetzt sitzt sie in Stockholm und leidet so vor sich hin.

Eigentlich habe ich mir drei Wochen Zeit genommen, um ein bisschen »rumzureisen«. Backpackervokabular einer Generation, die es nie an einem Ort aushält, oder vielleicht nicht aushalten darf, oder vielleicht glaubt, es nicht aushalten zu dürfen.

Turtle wirkt wie ein falsch gewählter Ausschnitt aus einem längeren Text und die Geschichte eines solchen Auslandsaufenthalts haben wir alle schon einmal gehört – mit allem, was dazugehört: die Zweifel, das Fremdsein, die Suche nach einer Veränderung, die ein anderes Land zu versprechen scheint. Erschien mir diese Geschichte zunächst so belanglos wie das Format Berlin -Tag & Nacht, für das die Autorin als Storytellerin arbeitet, hat die Ansprache von Lektor Albert Henrichs mich jedoch zum Aufhorchen und Nachdenken gebracht. Er lässt mich in diesem Text plötzlich mehr erkennen, nämlich die Geschichte eines Opfers: die Protagonistin als Leidtragende einer Generation, die sich selbst einen Erwartungsdruck auferlegt hat und „das Städtereisen zu einem Lebensgefühl“ erklärt hat. Verwöhnte Generation Y.

Ich bin sehr gespannt auf ihren Freund. Natürlich bin ich überrascht, als ich ihn sehe, enttäuscht vielleicht sogar, wie so oft, wenn eine Vorstellung einen Körper bekommt. Er ist groß und sehr dünn, alles ist schmal an ihm, die Hände, die Hüfte, die Schultern. Nur seine Augen und sein Mund widersetzen sich. Riesig und breit, die Augen etwas glubschig, die Zähne etwas vorstehend, scheinen sie zu einem ganz anderen Gesicht zu gehören. »That’s my Viktor«, sagt Sofi stolz.

 

Die Erzählerin ist gelangweilt. Schier alles, ein Theaterstück das sie besucht, die Menschen, die sie kennenlernt, ödet sie an. Einsam ist sie auch noch, würde lieber auf dem Balkon sitzen bleiben und kapitulieren. Um noch in irgendetwas zu erleben, verführt sie in ihrer Verzweiflung den Freund ihrer schwedischen Mitbewohnerin und bereut diesen Ausbruch schon am nächsten Morgen. Ring!, da klingelt zum ersten Mal der Wecker an diesem open mike-Wochenende. Für mich okay.

Spoiler: Es endet damit, dass die Erzählerin, anstatt endlich einmal zu Handeln und das Projekt Schweden für gescheitert zu erklären, zurück in die Wohnung kehrt und in Schweden bleibt. Schade.

 

 

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