Philipp Böhm: „Überbleibsel“

Es geht um Arbeit. Im Fall von Philipp Böhms Überbleibsel: gemächliche, monotone Fabrikarbeit. Rainer Götz nennt es die „Erkundung einer fremden Erfahrungswelt“, die an das ausgestorbene Genre „Arbeiterliteratur“ der 70er-Jahre erinnert. Jakob, der Protagonist in Böhms Arbeiterporträt, dachte lange Zeit selbst, dass „solche Orte nicht mehr existieren“. Er weiß auch gar nicht genau, was die Fabrik, in der er seit Kurzem arbeitet, eigentlich produziert. Das kümmert ihn aber auch nicht. Niemanden kümmert es, niemand möchte an diesem Ort bleiben. Es ist eine Übergangsstation.

Niemand wird länger als ein paar Monate hier arbeiten, auch diejenigen, die schon seit zehn Jahren angestellt sind.

Die Geschichte entwickelt sich langsam. Erst einmal ist alles Beobachtung. Jakob sieht die anderen Männer, die mit ihm in der Fabrik arbeiten, er hört und lernt, dass sie immer dieselben Geschichten erzählen, dass in diesem Farbikkosmos alles seine Bestimmung hat, an der nichts zu drehen ist. Jakob saugt alles auf.

Die Welt der Fabrik ist geschlossen. Das Einzige, das an eine Welt außerhalb erinnert, sind tote Eichhörnchen, die den Fluss entlang treiben. Und Hartmann. Jakobs Kollege, der ihn morgens mit dem Auto mitnimmt, versuchte einst dem Fabrikleben zu entkommen und erinnert in seinem Scheitern selbst an ein Eichhörnchen:

Im Morgengrauen sieht Jakob ihn dort, wo maximal sieben Autos stehen, wie er die Umgebung belauert, ein verschüchtertes Tier, das mit einem Mal und ohne Absicht aus dem Wald herausgetreten ist und sich auf einem Feld wiederfindet, das es nicht überblicken kann.

 

Man bemerkt es nicht gleich, doch so langsam wie sich der Fabrikstaub auf Jakobs Augen legt (tolles Bild!), geschieht mit der Figur eine Veränderung. Jakob möchte die Fabrik nicht mehr verlassen, verspürt keinen Drang auszubrechen und die Welt zu sehen. Die Fabrik ist jetzt seine Welt. „Don’t stop me now“. Jakob ist in seinem Stillstand nicht aufzuhalten. Ich könnte noch vieles zu diesem Text sagen, weil er so viele brillante Details und Twists aufweist. Danke dafür!

 

 

Auch eine Meinung zum Text? Wir freuen uns über Eure Kommentare!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.