Ratgeber: Dein Weg zum open mike (inklusive possierlicher Tierchen)

Es gibt Ratgeber für so ziemlich alles: für die Avocadozucht, für die Pflege von im Winter eingelagerten Sommerreifen oder für den Umgang mit verhaltensauffälligen Problemhunden. Kompetent kann jeder werden, der sich das nötige Know-how anliest und gewillt ist, sich belehren zu lassen. Das schillernde Versprechen der Ratgeberliteratur lautet: Auch Du kannst Experte werden, wenn Du es nur willst. Und auch Du kannst beim open mike eingeladen werden, wenn Du nur diesem Ratgeber folgst:

Tiere sind wichtig, sehr wichtig. Anhand ihrer kann eine Motivik verdeutlicht werden, auf sie können Eigenschaften von Figuren übertragen werden, bei ihnen werden die Leser*innen sehr schnell sehr rührselig. Eigentlich ist es das Prinzip von Katzen-Memes, nur eben als literarischer Clou. Bei Philipp Winklers Erstling Hool war es ein wilder Tiger, der in einem Loch gehalten wurde, bei Ronja von Rönnes Wir kommen eine Schildkröte, die die Protagonistin als Babysitterin zu pflegen hat.

Tatsächlich ist die Schildkröte auch beim diesjährigen Wettbewerb sehr beliebt. In Demian Lienhards Prosabeitrag Am Drin schiebt „mühsam […] eine Schildkröte ihren Panzer durchs hohe Gras“ und ganz am Ende wird das Tier nochmal durch den Text schleichen. In André Pattens Herr Wohlfahrt ist die Schildkröte Teil des Warenarsenals, das im Baumarkt zum Verkauf steht, und in Lea Wintterlins Turtle ist das Panzertier nicht nur titelgebend, sondern auch im Text prominent vertreten. Die Zuweisungen sind evident: Tranigkeit, Wehrhaftigkeit, Rückzug. Ist die Schildkröte das neue Symbol für die innere Emigration angesichts einer gefühlten Gegenwart, die zu unübersichtlich und schmerzbesetzt?

Namen sind freilich auch sehr wichtig. Wobei die Taufe der Figuren ein sehr heikles Unterfangen ist. In Christian Mitzenmachers Chiquitita heißen die WG-ler sehr wg-haft Julian und Lisa, in Özlem Özgül Dünndarm Text Die Luders heißen zwei Mädchen der Gang gut bürgerlich Alexandra und Ulrike, aber „diese Namen will keiner von uns hören“, deswegen nennen sie sich Alex und Uli. Bei Rudi Nuss wiederum werden meistens die Nachnamen genannt: Basinski und Falls. David Hugendick hat da auch schon eine Idee:

Zuletzt die Wahl des Milieus: Es sollte sich durch eine sachte Relevanz auszeichnen, um den Vorwurf zu vermeiden, man verstecke sich in lichtdurchfluteten Altbauwohnungen. Bei Berit Glanz waren es verglaste Co-Working-Spaces, bei Philipp Böhm die verstaubte Landfabrik, bei André Patten der provinzielle Baumarkt, bei Christof Zurschmitten die Schlachterei.

Also, kurz und knapp, wenn ihr eingeladen werden wollt, macht Folgendes: ein leicht exotisches Tier, vielleicht eine Blindschleiche, die an Niereninsuffizienz leidet. Dazu deutsche Namen, ins Spießige oder Absurde gewendet: Holger, Beate, Babs. Und seid in Eurer Kombinatorik immer frei und frech: Die Blindschleiche könnte beispielsweise Tilman heißen. Zuletzt das Milieu und der Raum für die Erzählung. Gut wäre etwas Aktuelles, etwas, das die Leser*innen im Jetzt abholt, ohne sie durch eine Sozialstudie anzuöden. Vorschlag: der Mercedes Vito eines DHL-Postboten. Schafft das bitte wer für nächstes Jahr?

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