Armin Wühle: „Leuchtquallen“

Armin Wühles Text beginnt am Frühstücksbuffet eines griechischen Hotels. Das Paar Kiesling und Marlen genießt seinen Pauschalurlaub, den sie scheinbar jedes Jahr hier verbringen. Letztes Jahr musste der Strand wegen eines hohen Leuchtquallenaufkommens gesperrt werden, dieses Jahr wegen hunderter angespülter Menschenleichen. Ohne dass es ausdrücklich erwähnt wird, tauchen sofort Bilder von toten Geflüchteten an den Stränden Europas in meinem Kopf auf. Marlen und Kiesling, dessen Name vielleicht nicht grundlos an einen „Fiesling“ erinnert, wollen sich davon nicht ihren Urlaub verderben lassen. Das scheinbar höchste der Gefühle ist ein voyeuristischer Blick, den das Paar aus sicherer Distanz auf die Toten wirft.

Der Lastwagen wendet und rollt langsam auf die Gummimatten. Begleitet vom durchdringenden Signal des Rückwärtsganges fährt er bis zur Stelle, an der sich die schwarzen Leichensäcke stapeln. Marlen beobachtet die Szene und wedelt sich mit ihrem Rätselheft Luft zu.

Auch vom Reiseleiter wird der Tod zahlreicher Menschen lediglich als „Unannehmlichkeit“ betitelt, die es so schnell wie möglich zu entschädigen gilt. Der im Präsens erzählte Text von Armin Wühle lässt keinerlei Empathie durchschimmern, wie auch der unaufgeregte Vortrag des Autors. Gnadenlos stellt Wühle in seiner Erzählung den allumfassenden Egoismus der Privilegierten heraus und schreibt einen gleichermaßen gesellschaftskritischen wie makabren Text. Die Charakterisierung der Tourist*innen sind stark zugespitzt und klischeehaft. Die Thematik des Textes braucht aber genau diese Übertreibungen, um den Kontrast zwischen den toten Geflüchteten und den Bessergestellten herauszuarbeiten. Leuchtquallen kommt ohne sprachliche Schörkel daher und ist ganz klassisch erzählt, was den Text noch unbedingter macht.

Hier beim Wettbewerb für junge Literatur gibt es witzige Texte, experimentelle und apokalyptische – und es gibt formal scheinbar unaufregende, die sich dafür aber inhaltlich mit menschlichen Abgründen und aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen beschäftigen. Armin Wühles Erzählung gehört zu dieser Gruppe und ich bin froh, dass es auch solche Texte beim open mike gibt.

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