Dorthin zurückkommen, wo alles anfing – dieselbe Bühne, das Publikum im Blick, die Scheinwerfer im Gesicht. Und doch ist alles anders. Gestern Abend fand der mittlerweile traditionelle Vorklapp zum open mike statt. Bei den diesjährigen Debütlesungen – liebevoll auch „Erntedankfest“ genannt – stellten drei Autorinnen und ehemalige open mike-Teilnehmerinnen ihre Erstlingswerke im Heimathafen Neukölln vor und läuteten damit auch die 25. Ausgabe des Literaturwettbewerbs ein.
Moderatorin Gesa Ufer führte durch den Abend und sprach mit den drei Autorinnen Alina Herbing, Andra Schwarz und Doris Anselm sowie deren Verleger*innen und Lektor*innen Ulrike Ostermeyer (Arche Literatur Verlag), Andreas Heidtmann (poetenladen) und Susanne Krones (Luchterhand) über die Zeit nach dem open mike und den Umgang mit unterschiedlichen Textformen.
Zunächst präsentierte Alina Herbing, open mike-Finalistin 2012, ihren im Arche Literatur Verlag erschienenen Debütroman Niemand ist bei den Kälbern. Fünf Jahre habe sie an ihrem Roman geschrieben und das eher nebenbei. Hauptberuflich war sie vor Kurzem nämlich noch als Sprachlehrerin für Geflüchtete tätig. Von dem plötzlichen Erfolg ihres Debüts sei sie zunächst überfordert gewesen, genieße nun aber ihren Status als freie Autorin. Zum Arche Literatur Verlag ist Herbing über ihre Literaturagentur gekommen. Verlegerin Ulrike Ostermeyer war sofort begeistert von dem Text, der sich in einer Mail des Agenten mit Betreff „Niemand ist bei den Kälbern“ verborgen hatte. Weil Herbings Text von Bewegung und dem Wunsch der Hauptfiguren nach Veränderung handelt, ist er nun ein Teil von Ostermeyers „literarischer Arche“.
Als zweites las Andra Schwarz, Gewinnerin des Lyrikpreises 2015, aus ihrem Debüt Am morgen sind wir aus glas und begann mit demselben Gedicht, das sie auch damals beim open mike als erstes las. Bei ihrem gestrigen Auftritt im Heimathafen sei sie allerdings viel entspannter gewesen und nahm zum ersten Mal das Publikum wirklich wahr. Ihr Verleger Andreas Heidtmann sei sofort von Schwarz’ zerbrechlicher Sprache und ihren Gedichten, die das Verschwinden von Landschaften und die Vergänglichkeit mit einer unheimlich feinen Präzision darstellen, beeindruckt gewesen. Schwarz’ Lyrikdebüt ist gleichzeitig auch ihre Abschlussarbeit für das Deutsche Literaturinstitut Leipzig.
Zuletzt stellte Doris Anselm, open mike-Gewinnerin 2014, ihren Erzählungsband und in dem Moment holt meine Liebe zum Gegenschlag aus vor und berichtete im Anschluss, dass der Wettbewerb ein riesen Türöffner damals für sie gewesen sei. Ihre Lektorin Susanne Krones war damals auch schon Anselms Vorlektorin beim open mike und fand den Umgang der jungen Autorin mit ihren Figuren bemerkenswert. Anselm gehe empathisch mit ihren Charakteren um, ohne sie dabei vorzuführen. Einen kleinen Einblick gab Anselm auch in ihre Schreibwerkstatt, indem sie zugab, dass sie auch oft Lyrik schreibe, um ihren Schreibstil zu verbessern.
Abschließend leitete Moderatorin Gesa Ufer mit dem Kommentar „Ihr seid ja Geburtshelfer und Totengräber gleichermaßen“ noch ein kleines Gespräch zwischen den Lektor*innen über die Bewertung von Manuskripten ein. Ostermeyer, Krones und Heidtmann einigten sich schnell, dass ein literarischer Text eine ganz eigene Stimme, Individualität und die Arbeit mit Sprache erkennen lassen muss.
Die gesamte Veranstaltung könnt ihr hier noch einmal nachschauen.