Dieses Jahr schreiben wir ein Vierteljahrhundert open mike: In diesen Tagen findet die 25. Ausgabe statt. Seit 1993 ist der Wettbewerb für junge Literatur am Start, zunächst noch unter dem Label der Literaturwerkstatt, inzwischen im Haus für Poesie angesiedelt. Grund genug, einen Blick auf die Zahlen der bisherigen Jahrgänge zu werfen.
Erstmal vorneweg: Herzlichen Glückwunsch an das Haus für Poesie zu einem Vierteljahrhundert open mike! Was in einem noch etwas beschaulicheren Rahmen 1993 begann, hat sich zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Wettbewerbe für junge Literatur entwickelt. Nicht nur die Debütlesungen am Freitag machen jedes Jahr klar, dass viele der Autorinnen und Autoren, die beim open mike ausgezeichnet werden, in der Folge auch einen Verlag finden. Auch in Zahlen lässt sich dies ausdrücken. Doch fangen wir vorne an und schauen darauf, wie sich das Feld der jungen Autor*innen über die Jahre so zusammensetzt. Da nur für die Jahre ab 2010 detaillierte Daten über alle Finalistinnen und Finalisten vorliegen, beschränkt sich ein Teil der Betrachtung nur auf die letzten acht Jahre.
Das Geschlechterverhältnis
Beim open mike werden die Texte für die Endrunde komplett anonymisiert von einer Gruppe Lektor*innen ausgewählt. Ein Verfahren, das die Person der Autor*innen komplett auszublenden versucht, um den Texten die ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Keine Vetternwirtschaft, keine Männerbünde, keine Vorurteile! Aber geht das wirklich auf?
Einfach zu bestimmen ist in jedem Fall das Geschlechterverhältnis der letzten Endrunden. Und das ist tatsächlich ziemlich ausgeglichen: Für die Jahrgänge ab 2010 haben insgesamt 166 Autor*innen den Sprung auf die Bretter des open mike geschafft. Davon sind 82 männlich, 84 weiblich – nahezu 50/50, ein ebenso überraschendes wie tolles Ergebnis.
Schauen wir jedoch auf die Preisträger*innen im gleichen Zeitraum (bis auf den aktuellen Bewerb), haben die Männer die Nase vorn: Hier stehen 15 Auszeichnungen für Männer gegen 9 für Frauen. Warten wir ab, ob sich der Trend dieses Jahr bestätigt. Erweitern wir an dieser Stelle den Betrachtungszeitraum auf alle open mike-Jahrgänge, wird die Differenz etwas kleiner, die Tendenz aber ist die gleiche: Von den 75 Preisträger*innen der Jahre 1993 bis 2016 waren 33 Frauen und 42 Männer, also 44 zu 56 Prozent. Dieses Verhältnis spiegelt sich interessanterweise fast genauso beim Geschlechterverhältnis der Juror*innen wider: Von 76 Juror*innen waren 31 weiblich und 45 männlich, also 41 zu 59 Prozent.
Das Alter
Beim open mike sind Autor*innen bis zu einem Alter von 35 Jahren zugelassen. Was bedeutet das für die Texte, die dann in die Endrunde kommen? Kommen eher Texte jüngerer oder älterer Autor*innen weiter? Zumindest seit 2010 stellt sich das sehr ausgeglichen dar. Durchschnittlich sind die jüngsten Autor*innen 20,5 Jahre und die ältesten 34,9 Jahre alt, das Durchschnittsalter aller Endrundenteilnehmer*innen seit 2010 liegt bei 28,5 Jahren. Die Schwankungen der einzelnen Jahrgänge sind dabei eher gering. Das zeigt, dass sich tendenziell etwas mehr Texte von älteren Autor*innen durchsetzen.
Die Schreibschulen
Ein heißes Eisen! Zuletzt viel diskutiert, könnte der open mike ein Gradmesser für die angebliche Dominanz von „Schreibschulprosa“ bzw. „-lyrik“ sein. Wir messen also den Anteil von Autor*innen mit Schreibschulen-Hintergrund. Seit 2010 trifft das auf 52 der 162 Endrundenteilnehmer*innen zu, also auf 31 Prozent oder ein knappes Drittel. Dabei gibt es einen interessanten Ausreißer: Im Finale 2014 kamen 12 von 22 Autor*innen von Schreibschulen, also über 50 Prozent. Was war da los? Man könnte nur spekulieren. Was wir mit Berücksichtigung dieses großen Ausreißers sagen können, ist, dass der Schreibschul-Anteil bei allen anderen Jahrgängen eigentlich eher bei einem Viertel als einem Drittel liegt.
Deutschland, Österreich und die Schweiz
Der open mike ist ein Preis für deutschsprachige Texte, Einreichungen können aus allen Ländern kommen. Einen Blick auf die Verteilung der Endrundenteilnehmer*innen auf die D/A/CH-Länder ist daher nicht uninteressant.
Seit 2010 können wir ein beständiges Ansteigen des Anteils von Autor*innen feststellen, die nicht aus Deutschland kommen. Waren es zu Anfang des Jahrzehnts noch lediglich zwischen 0 und 5 Prozent, ist der Anteil mittlerweile auf recht stabile 20+ Prozent gestiegen. Der Durchschnitt liegt allerdings noch bei nur 14 Prozent. Eine Sondernennung gebührt Benjamin Quaderer, dem ersten und bisher auch einzigen Teilnehmer aus Liechtenstein, der im letzten Jahr auch gleich einen Prosa-Preis mitgenommen hat. Weit hatte er es damit allerdings nicht, da er mittlerweile in Berlin residiert.
Alte Bekannte
Bevor es mit der Debütquote ans Eingemachte geht, hier noch ein kleiner Seitenblick auf die Preisträger*innen und Juror*innen seit 1993. Es gibt bei den Jurys ein paar „Serientäter“: Jens Sparschuh, Kathrin Schmidt, Katja Lange-Müller, Lutz Seiler und Raphael Urweiler haben bereits zwei Mal auf der Jury-Bank Platz genommen. Anstatt eines Trommelwirbels gibt es nun noch die „Überläufer“: Wer hat die Seiten gewechselt und ist vom Teilnehmer*innenfeld zur Jury gewechselt? Gar nicht mal so wenige! Inger-Maria Mahlke, Julia Franck, Karen Duve, Kathrin Röggla, Terézia Mora und Tilman Rammstedt haben es geschafft. Und dieses Jahr gesellt sich Nico Bleutge der illustren Runde hinzu.
Die Debütquote
Und zum Abschluss endlich die Frage der Fragen: Ist der open mike ein statistisch belegbares Sprungbrett in den Literaturbetrieb? Wie viele Autor*innen schaffen es, nach dem Gewinn eines Preises auch ein Debüt zu veröffentlichen? Die Grundlage der Betrachtung sind nun wieder alle Jahrgänge von 1993 bis 2016, das heißt insgesamt 75 Autor*innen. Vorausgeschickt sei noch, dass die Zeit zwischen der Auszeichnung beim open mike und der Veröffentlichung eines Debüts sehr stark variieren kann. Die Preisträger*innen der letzten Jahre sind also natürlich, auch wenn sie zum Teil noch kein Debüt veröffentlicht haben, nach wie vor im Rennen. Festhalten können wir aber, dass von den 75 Preisträger*innen seit 1993 55 ein Debüt veröffentlicht haben, also über 70 Prozent. Ein sehr hoher Wert, der open mike gilt also wirklich vollkommen zu Recht als einer der wichtigsten Preise für junge Literatur.