Laudationes 2017: Juliane Schindler

Dem vielfach gehörten Wunsch, auch die allererste Dankesrede zu veröffentlichen, kommen wir gerne nach. Hier im Wortlaut die Laudatio von Lektorin Juliane Schindler:

Als gestern entschieden wurde, dass ich es bin, die heute zu euch sprechen soll, war mir klar: Das geht nicht gut. Es haben schon so viele was gesagt und es wird noch so viel gesagt werden – wie soll ich da noch eine Rede schreiben, wie soll ich da noch etwas hinzufügen können. Und außerdem will ich auf die Open Mag-Party und tanzen und jetzt keine Rede schreiben: Wie soll das also gehen, in der kurzen Zeit.
Aber, dacht ich mir, wem sag ich das. Ihr kennt das. Ihr seid Autoren. Der Saal ist voller Autoren, mehr, als auf der Bühne gelesen haben. Ihr schreibt nicht, weil die Wahl wie bei mir halt auf euch gefallen ist – ihr habt keine Wahl: Ihr schreibt, weil ihr müsst, gegen euch seid ihr machtlos. Ihr schreibt, weil die Welt ein Rätsel ist, weil ihr euch so der Welt annähert, ihr Fragen stellt und sie so lebbar macht.
Wettbewerbe wie der Open Mike bringen euch auf die Bühne, und ihr sitzt da im Scheinwerferlicht, im Livestream, ihr teilt eure Texte und bekommt unmittelbare Reaktionen. Das muss überwältigend sein, vor allem nach dieser „einsamen“ Arbeit des Schreibens, in der ihr alleine seid mit dem Text und im Gespräch mit ihm.
„Mir kam vor, ich könnte mein Leben außer beim Schreiben nur im Gehen oder Fahren noch aushalten. Einzelhaft“, hat der wunderbare Peter Kurzeck geschrieben und ich hoffe natürlich, dass ihr es noch mit mehr aushaltet als dem Schreiben und dem Gehen und dem Fahren, und dass euch das Schreiben keine Einzelhaft ist.
Es gibt zum Glück noch mehr als das Schreiben. (Obwohl das Schreiben und Lesen allein uns schon weit tragen können, natürlich.) Erzählt euch also das Leben, erzählt es euch gegenseitig, erzählt es uns. Erzählt das, was ihr erzählen wollt, ganz egal, was es ist.
Schreibt politisch und vergesst nicht, dass Literatur auf viele Weisen politisch sein kann. Schreibt nach keinem Schema, löst euch von den Vorbildern, habt Mut, eure Stimme zu benutzen. Schreibt pathetisch, schreibt wütend, schreibt energisch, und wenn ihr fertig seid (ich weiß, ihr seid nie fertig), wenn ihr also fertig seid, haut auf den Tisch. Verzagt nicht. Und wenn euch vom Tag nichts übrig bleibt, dann schreibt im Kopf weiter. Fangt an, so weit es eben geht – und dann schreibt weiter.
Sucht euch Verbündete, dann seid ihr kugelsicher, auch im Scheitern. Ihr werdet scheitern, immer wieder, aber wisst, dass wir euch brauchen, dass ihr ein Recht habt auf die Welt und auf die Zukunft und dass es damit seine Richtigkeit hat. Wir brauchen euch, nicht nur, damit wir weiter mit dem Vertrieb streiten können und die Presse verführen müssen und das Marketing überreden. Wir brauchen eure Sicht auf die Welt und diese Glücksmomente, die ihr uns mit eurer Sprache schenkt, diese Glücksmomente, die ihr mit euren ganz eigenen Gedanken auslöst, die wir selbst so nicht denken können oder nicht ausdrücken; mit euren Figuren, die wir lieb gewinnen oder hassen wie Pablo Escobar. Und manchmal brauchen wir – ja, sogar wir (und ich spreche jetzt für die gesamte Menschheit) auch den Trost, den Humor, die Ablenkung, das Lachen, die kurze Flucht. Das Gefühl, im Autor, der Autorin einen Freund zu haben, auch wenn wir ihn oder sie gar nicht kennen.
Traut euch manchmal auch zu, die Welt, die eh eine der härtesten ist, mit Liebe zu erzählen und mit Leichtigkeit. Wie euren ganz störrischen und schwierigen Geliebten, den man manchmal nur aushält, indem man ihn nicht mehr so ernst nimmt. Ein bisschen über und vor allem mit ihm lacht.
Also gleichzeitig: Nehmt euch nicht so wichtig! Nehmt eure Texte nicht so wichtig und das Scheitern nicht so wichtig, den Erfolg nicht so wichtig (überhaupt – was soll das sein: Erfolg) und nehmt vor allem den Betrieb nicht so wichtig. Lasst euch nicht einschüchtern, schaut euch um: Eure Komplizen lauern überall. Scheißt auf den Konsens und dann geht tanzen.

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