Robert Wenzel & Erik Wunderlich
Robert Wenzl
Robert Wenzl wurde 1990 in einer ostdeutschen Kleinstadt geboren und kam, nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker, Work and Travel und Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, über Umwege als Singer-/Songwriter zur Lyrik. Es folgten mehrere Veröffentlichungen in der Zeitschrift HANT, 2016 war er Preisträger des Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen. Dazu veröffentlichte er in den letzten Jahren mehrere EPs und Alben. 2017/18 schrieb er Musik für das Jugendtheaterstück #esistkompliziert am Jungen Staatstheater Karlsruhe. Momentan studiert er Humangeographie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Wann schreibst Du am liebsten?
Am liebsten schreibe ich, wenn ich unterwegs bin, also in Zügen, Bussen, Straßenbahnen. Irgendwie liebe ich es, beim Schreiben in Bewegung zu sein. Zuhause wird dann meistens nur noch redigiert, ergänzt, zusammengeführt.
Wer liest Deine Texte zuerst?
Ein paar enge Freunde lesen meine Texte meist zuerst. Man muss sich ja ein wenig kennen, um ernsthafte Kritik üben zu können. Manchmal stelle ich meine Texte auch anderen jungen Autoren vor, die ich aus meiner Jenaer Zeit kenne und die sich um die Lesereihe In guter Nachbarschaft um Mario Osterland und Peter Neumann zusammengefunden haben.
Was bedeutet Literatur für Dich?
Als Leser liebe ich es, durch Literatur in andere Leben, Gefühle, Erinnerungen einzutauchen. Besonders Lyrik scheint mir dafür geeignet. Vielleicht bin ich auch Emotionsvoyeur. Durch literarische Texte Emotionen und Eindrücke nachzuahmen, ist eines der schönsten Dinge, die ich kenne. Als Schreibender liebe ich es hingegen, Latentes zu konkretisieren, Wirklichkeiten anzuordnen und zu entwerfen, Möglichkeiten festzuschreiben. Aber auch der Wirklichkeit Dinge zu rauben und umzudeuten. Mein Text arbeitet viel mit Zitaten, Straßenschildern, Sprüchen. Neu konstelliert entwickeln diese Aussagen, die auch ohne mich da wären, eine eigene Tendenz, die ich dann versuche deutlich zu machen und herauszukehren.
Was wäre, wenn Dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Dann müsste ich wohl singen. Aber singen wie jemand, dem man sein Instrument zerschlagen hätte.
Was erfüllt Dich mit Hoffnung?
Ein guter Text, ein gutes Lied, belanglose Momente, denen man Gewahr wird. Jedoch mag ich in literarischen Texten gerade die hoffnungslosen, widerspruchsgeladenen, dystopischen.
Was würdest Du anders machen, wenn du wüsstest, dass Dich niemand beurteilt?
Nicht allzu viel, glaube ich. Ich sehe Absagen von Literaturwettbewerben nicht primär als Kritik am eigenen Schreiben. Es gibt verdammt viele gute Texte, manche Stile sind vielleicht anschlussfähiger als andere. Wobei ich zugeben muss, dass Zusagen zu Wettbewerben oder Preise schon die Motivation steigern, weiterzumachen.
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
Seit ein paar Monaten habe ich ein Kind, deswegen: müde, vielleicht auch nur verträumt, jedoch bestimmt nicht buchstabenmüde.
Erster Vers Deines open mike-Textes?
Also
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Gorch Maltzens »Sträuben«. Nicht nur ist dieses Buch verdammt schlau, sondern auch verdammt gut und unterhaltsam erzählt. Die Dialoge und Erzählungen darin haben in mir einen starken Eindruck einer absurden bis komischen Verlorenheit hinterlassen. Wer also gern über den postmodernen Abgrund schaut, darf sich eingeladen fühlen, dieses Buch zu kaufen.
Schick uns ein Bild von Deinem Lieblingsarbeitsplatz und schreibe etwas dazu.
Da ich seit einem Jahr in Berlin bin, sind die Berliner S- und U-Bahnen nun mein neuer Lieblingsarbeitsplatz. Stoff für neue Geschichten läuft hier ja auch ein und aus; und nachts die Stadt zu durchkreuzen hat immer etwas Magisches. Das Bild jedoch wurde von einem Freund, Matthias Gründig, in Rom gemacht. Mein Text entstand dort während eines Erasmus-Jahres. Sein Bild fängt dieses Gefühl viel besser ein alles alle Bilder, die ich hätte machen können.
Robert Wenzl wurde ausgewählt von Ulf Stolterfoht.
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Erik Wunderlich
Erik Wunderlich, geboren 1983 im nördlichen Schwarzwald. Lange Zeit in Berlin, seit 2018 in Freiburg im Breisgau. Studium der Physik und der Psychologie, Ausbildung zum Medizinischen Masseur. Macht Musik als Kap Alamé, konzentriert sich als Autor auf surreal gefärbte Kurzprosa. Veröffentlichungen u.a. in der Kritischen Ausgabe (2017) und in der Mosaik (2018).
Wann schreibst Du am liebsten?
In meinen produktivsten Stunden des Tages, gleich nach dem Frühstück. Leider ist das nur relativ selten möglich, aber das macht diese morgendlichen Schreibstunden für mich umso kostbarer. Sehr gerne schreibe ich auch auf Zugfahrten, zum Beispiel zwischen Freiburg und Berlin, dann ist die Tageszeit fast egal.
Wer liest Deine Texte zuerst?
Sobald ein Text halbwegs präsentabel ist, lese ich ihn in einem Literaturzirkel vor, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen und um mir Feedback zu holen. In Berlin war das unter anderem der Neuköllner Leuchtturm, in Freiburg ist es vor allem die Literarische Werkstatt im Literaturhaus.
Was bedeutet Literatur für Dich?
Das Besondere an der Literatur ist für mich, dass sie nur Wörter gebraucht und dabei weit über Wörter hinausgeht. Ihr gelingt das Zauberstück, dem Unaussprechlichen mit sprachlichen Mitteln eine Form zu geben, Stimmungen, Träumen, Archetypen. Sie kann auch wunderbar zum Träumen, Denken, Fühlen anregen, gerade mittels des nur Angedeuteten, ungesagt Mitschwingenden.
Was wäre, wenn Dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Dann würde ich wieder mehr komponieren! Ganz ohne eine Möglichkeit meinem Schaffensdrang nachzugehen würde ich aber wahrscheinlich früher oder später depressiv werden, alkoholabhängig oder wahnsinnig, oder alles auf einmal. Naja, vielleicht würde ich auch einen konstruktiveren Ersatz finden.
Was erfüllt Dich mit Hoffnung?
Dass ich jeden Morgen wie gereinigt aufwache, und voller Tatendrang. Dass Menschen immer wieder ihr Potential zur Weiterentwicklung unter Beweis stellen, und auch die Menschheit an sich. Dass, wenn auch langsam, ein angemessenes Bewusstsein für die Kostbarkeit und Weisheit der Natur heranwächst, und dass darauf, wenn auch noch viel langsamer, Taten folgen.
Was würdest Du anders machen, wenn du wüsstest, dass Dich niemand beurteilt?
Ich würde endlich meine Einkäufe unten ohne erledigen. Nein im Ernst, wahrscheinlich würde ich mich viel freier fühlen, also auch meine Gedanken und Gefühle viel freier äußern können. Vielleicht hätte ich dann aber gar nicht mehr das Bedürfnis, mich mithilfe des Schreibens auszudrücken?
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
Irgendetwas zwischen angeregt, aufgeregt und ein bisschen ruhelos – ich glaube das ist ein Geisteszustand, den ich ganz gut kenne.
Erster Satz Deines open mike-Textes?
Kreuz Nord – die Buchstaben der Haltestelle flimmern in mein halbwaches Bewusstsein – ich lese sie zum dritten, wenn nicht vierten Mal, muss also seit mindestens drei Stunden im Kreis gefahren sein.
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Kazuo Ishiguro: »Alles, was wir geben mussten«. Dieser Autor beherrscht die Kunst, mit klarer, sparsamer, schöner Sprache eine Atmosphäre der Schwebe zu erzeugen, voller Melancholie, Irritation und Geheimnis. Für jedes neue Buch benötigt er ungefähr fünf Jahre, und jedesmal gelingt ihm ein Meisterwerk. Dass Ishiguro den Literaturnobelpreis 2017 erhalten hat, erfüllt mich ebenfalls mit Hoffnung.
Schick uns ein Bild von Deinem Lieblingsarbeitsplatz und schreibe etwas dazu.
Für den Fall, dass ich nicht gerade Zug fahre, habe ich mir einen Schreibtisch im wahrsten Sinne des Wortes eingerichtet, also einen Tisch, an dem ich mich ausschließlich dem literarischen Schreiben widme und allem, was dazugehört: überarbeiten, recherchieren, Ideen sammeln, in den Tiefen der eigenen Seele Beeren pflücken und, natürlich, vor mich hin starren und träumen.
Erik Wunderlich wurde ausgewählt von Katharina Picandet.