Es gibt eine Sache, die nie auszusterben scheint: die konsequente Kleinschreibung von Texten. Das machte in den Siebzigern schon die RAF, im Jahr 2010 gefühlt alle jungen Schriftsteller*innen, und auch 2018 findet sie noch immer Eingang in die Prosa: Yade Yasemin Önder bedient sich dieser Schreibweise, was vorgelesen natürlich keine Relevanz hat.
Ihr Text »bulimieminiaturen« ist »schnell, assoziativ, wahnwitzig bitter und wunderschön«, wie Lektor Jan Valk betont, der an Lob nicht spart: Literatur sei für ihn dann am stärksten, wenn er nicht nur überrascht, sondern übertölpelt würde. Önder bezeichnet er als »Meisterin der Übertölplung«, eine Autorin, die zeige, dass sich selbst in Zeiten, in denen der Roman brav geworden sei, Prosa als die freieste aller Formen erweise. Viel Vorschusslorbeeren also für Yade Yasemin Önder.
ich hatte nun meinen vater auf dem gewissen und man weiß ja, wie schwer so ein vater ist. er wog ja damals schon an die drei-, vierhundert kilo, das muss man sich mal vorstellen, er war so schwer, dass die wiese sich konkav ins erdreich bog …
»bulimieminiaturen« ist geschildert aus der Sicht einer Ich-Erzählerin, die zur dritten Generation türkischer, assimilierter Einwanderer gehört. Sie hat sich von ihren Wurzeln gänzlich entfernt, als Kind kürt sie Salamipizza zum besten Gericht und ist zudem nicht in der Lage, auf Türkisch mit ihrem Großvater, dede, zu kommunizieren. Früh entwickelt sie eine ausgeprägte Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben, von der Heirat bis zur Dreizimmerwohnung und den Kohls als Nachbarn. Doch es wundert kaum, dass dies der Realität nicht standhält und die Vorstellung zerbricht: vom Regal bis zur Katze fliegt metaphorisch alles aus dem Fenster.
zum abschied bekomme ich einen kuss und noch einen simit. dede rülpst seni seviyorum und mein vater sagt, was ich antworten soll.
Zerbrochen ist die Protagonistin auch in ihrem Inneren. Wie der Titel des Texts verrät, wird ihr Leben vom Berechnen des Body Mass Index, Essen und Erbrechen dominiert. Überhaupt Körperflüssigkeiten: Sie spielen eine große Rolle in »bulimieminiaturen« – und führen am Ende wieder zum Essen zurück. So assoziiert die Protagonistin beispielsweise salziges Sperma mit beyaz penir, Salzlakenkäse. Sperma ist ebenfalls ein Stichwort, denn neben Familiengeschichte und Bulimie behandelt Önder in ihrem Text einen dritten Gegenstand: das Erwachen der Sexualität. Viele Themen also für einen Fünfzehnminutentext. Doch achtet man auf die Reaktionen, gelingt es der Autorin trotz der Fülle an Sujets und des assoziativen Textes, ihr Publikum mitzunehmen: Es wird mehrfach gelacht und auch auf Twitter finden sich lobende Worte.