Workshop: Radikale Diversität – Wissen, Literatur und Politik

Es geht zur Sache im Workshop von Svealena Kutschke, der seinem vollständigen Namen Radikale Diversität – Wissen, Literatur und Politik – Fragen über die Möglichkeit von Literatur und ihrer Verantwortung alle Ehre macht. Es geht es um nichts Geringeres als die großen Literaturfragen aus Sicht ihrer Verfasser*innen: WIE kann man Geschichten erzählen, WESSEN Geschichten können das überhaupt sein, und WELCHE Geschichten sind möglich?

Voll ist es in einem der Werkstatträume des Young Arts in Neukölln. 15 ehemalige und aktuelle open mike-Autor*innen sitzen dicht zusammen an einem großen Tisch, am linken Rand Svealena Kutschke. Die Autorin und Preisträgerin des open mike 2008 stellt gleich zu Beginn fest: »Das ist keine Übung, lasst uns bitte von Anfang an über alles sprechen«. Und so sind die nächsten Zeilen kein ergebnisorientierter Bericht über einen Workshopnachmittag, sondern eine Collage der Fragen und Überlegungen, an denen sich open mike-Autor*innen aktuell abarbeiten. Stets darum besonnen, Haltung zu zeigen – ohne mit erhobenem Zeigefinger gelesen zu werden.

Lassen Sie sich gerne anregen, und verzweifeln Sie nicht, falls Sie keine Antworten parat haben – Literatur ist ja eben auch dazu da, Diskursen Platz zu geben und Diskussionen anzustoßen, die offen sind und gefüllt werden möchten.

 

Über allem schwebt die Frage

»Was ist die Möglichkeit von Literatur?«

 

Zur Jobbeschreibung von Autor*innen

»Dinge erzählen, die sonst nicht erzählt werden«

»Durch das Füllen von Wissensleerstellen oder historisch einseitger Berichterstattung, bisher Unterschlagenes aufzudecken«

»In Literatur  steckt die Chance Geschichten und Geschichtliches anders zu erzählen«

»Politische Geste der Dinge ansprechen, die sonst keinen Raum haben«

 

Aus der Schreibpraxis / Strategien

»Wie grenzt man Figuren von der eigenen Haltung ab?«

»Erstmal darf jede*r über alles schreiben«

»Unterschied, ob man Geschichten jemandem aus dem Mund nimmt oder man sich mit anderen Themen beschäftigt«

»Man versucht alles reinzudrücken und dann ist es doch zu viel«

»Wir müssen uns selbst durcheinanderbringen, um die Schablonen zu lösen«

»Es ist ja auch eine Empathieübung sich in eine andere, neue Welt zu begeben«

»Kann ich meiner Leserschaft zu trauen, Reproduktion zu erkennen?«

»Selektionsprozess ausschlaggebend, sonst nehmen Fakten/Wissen dem Roman die Luft zum Atmen«

»Wie mit Sprache umgehen, die zum Beispiel Nazis benutzen?«

 

Wesenszüge

»Der Roman ist eine Suchbewegung, entwickelt Figuren und Gedanken«

»Literatur ist keine Aussage, sondern dazu da um zu ergründen«

»Literatur ist subjektiv, aber so anlegen, dass es sinnhaft ist für eine gewisse Auswahl«

»Man geht sich selbst auf den Leim, wenn man davon ausgeht, die Figuren seien lebensecht«

 

(Selbst)Kritik

»… als kostenlose Schreibwerkstatt«

»Scheitern kann dazu gehören – ist sogar erlaubt, auch wenn das heißt, dass das einem/einer um die Ohren fliegt«

»Das ständige in Frage stellen, bis man sich nicht mehr traut zu schreiben«

»Wer meint sagen zu können, wann/was etwas ok ist?«

 

Appelle

»Wünsche mir, dass die Verlage es ablehnen, wenn ich ihnen als weißer Mann einen Text aus der Perspektive einer Woman of Colour anbiete«

»Viel Solidarität untereinander, nicht dem eigenen Neid den Raum geben, dafür einander unterstützen, zum Beispiel sich gegenseitig zitieren«

 

Am Ende zeigt sich, dass drei Stunden für ein Thema mit derartiger Tiefe einfach nicht genug sind. Und endgültige Antworten wird es auf die gestellten Fragen auch nie geben können. Die Reflexion, die hier in der Gruppe angeregt wurde, sollte aber einen wichtigen Ankerpunkt für alle beteiligten Literat*innen bieten.

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