Aus der Textwerkstatt von Rebekka Greifenberg

Fenriswolf

SZENISCHE ÜBUNG
Gekürzte Fassung


SZENISCHE ÜBUNG
Gekürzte Fassung

INN. PSYCHOTHERAPEUTISCHE PRAXIS / BEHANDLUNGSZIMMER – TAG

Das Behandlungszimmer einer psychotherapeutischen Praxis. Hell, modern, klinisch steril wirkend. Minimalistisch eingerichtet. Die Farbe Weiß dominiert die Räumlichkeit. Zwei teuer wirkende weiße Designerstühle stehen sich gegenüber. Der Abstand zwischen den Stühlen wird durch eine glatte, ebenfalls weiße Tierhaut festgelegt. Etwas abseits, aber von beiden Stühlen aus gut sichtbar, ist ein gläserner Beistelltisch platziert. Auf ihm eine große Sanduhr. Der Sand ist rot. Der THERAPEUT (52) öffnet von innen die Tür des Behandlungszimmers und bittet den bereits wartenden PATIENTEN (38) vom Flur der Praxis in das Behandlungszimmer herein.

THERAPEUT

Nehmen Sie bitte Platz.

Beide setzen sich.

THERAPEUT

(weiter)

Wie geht es Ihnen heute?

PATIENT

Er ist wieder den ganzen Tag da.

Schweigen. THERAPEUT nickt nachdenklich. PATIENT guckt nach rechts neben sich, als würde er dort etwas sehen.

PATIENT

(weiter)

Das schränkt mich so ein.

Schweigen. PATIENT streicht sich angespannt mit den Handinnenseiten über die Oberschenkel.

PATIENT

(weiter)

Ich möchte ja etwas über ihn sagen, aber das darf ich nicht. Das muss man sich mal vorstellen. In meinem eigenen Leben. Und Sie haben mir auch noch nicht geholfen.

Schweigen

THERAPEUT

Ich würde gerne noch einmal darüber sprechen wie er damals zu Ihnen gekommen ist.

PATIENT

(Stimme gesenkt)

Das ist verboten, das hört er.

Schweigen. THERAPEUT setzt einen höchst einfühlsamen und verständnisvollen Blick auf, es gelingt ihm aber nicht, zu verbergen, dass er seinen Patienten für psychotisch hält.

THERAPEUT

(behutsam)

Wir hatten ja letztes Mal schon besprochen, dass er nicht real ist, er ist ja nicht wirklich hier im Raum anwesend.

Schweigen

PATIENT

Er sitzt doch da.

PATIENT zeigt nach rechts neben sich auf den Boden. THERAPEUT beugt sich etwas nach vorne Richtung Patient.

THERAPEUT

Sehen Sie, wenn wir nicht darüber sprechen wie er zu Ihnen gekommen ist, ich glaube nicht, dass wir das Problem dann lösen können.

Schweigen. PATIENT rutscht auf dem Stuhl hin und her. Streicht sich wiederholt über die Oberschenkel und guckt zu seiner rechten Seite nach unten, als würde er dort etwas sehen.

PATIENT

(aggressiv)

Ich möchte einfach, dass er weg geht.

THERAPEUT

(beruhigend)

Okay, ich habe eine Idee.

Es gibt eine ziemlich einfache Möglichkeit, wie wir herausfinden können, ob er real ist oder nicht.

Schreiben Sie mir hier auf–

THERAPEUT reicht dem PATIENTEN ein Klemmbrett und einen Stift.

THERAPEUT

(weiter)

Was Sie denken, dass er nicht hören will. Einen Satz, der nicht gesagt werden darf. Dann geben Sie mir das Blatt zurück und ich lese es laut vor.

PATIENT guckt den THERAPEUTEN entgeistert an.

THERAPEUT

(weiter)

Ich denke nicht, dass er existiert, und ich habe keine Probleme damit einen verbotenen Satz vorzulesen (pause). Wenn nichts passiert, wäre das ein recht eindeutiger Beweis für meine Theorie.

Schweigen

THERAPEUT

(weiter)

Was meinen Sie?

PATIENT

Sie haben Unrecht.

THERAPEUT

Das sagt Ihre Krankheit. Sie können nicht zwischen Wahnvorstellung und Wirklichkeit unterscheiden.

THERAPEUT beugt sich väterlich nach vorne.

THERAPEUT

(weiter)

Aber Sie können versuchen, mir zu vertrauen.

Schweigen

THERAPEUT

(weiter)

Was hält Sie davon ab, sich darauf einzulassen?

PATIENT windet sich unbehaglich auf dem Stuhl hin und her.

PATIENT

Dass Sie danach tot sein werden.

Das Gesicht des THERAPEUTEN nimmt eine väterliche und übertrieben ernsthafte Miene an.

THERAPEUT

Dafür übernehme ich die volle Verantwortung.

Schweigen

PATIENT

(zögerlich)

Okay

Der PATIENT kritzelt hastig einen Satz auf das Blatt. Der THERAPEUT beobachtet ihn zufrieden. PATIENT reicht ihm das Klemmbrett zurück.

THERAPEUT

(liest)

Ich bin–

Der THERAPEUT wird von etwas nicht Sichtbarem mit voller Wucht am Oberkörper getroffen. Er kippt mit dem Stuhl nach hinten um. Der PATIENT ist schockiert, aber wenig überrascht. Er beobachtet das Geschehen regungslos. Die Kehle des THERAPEUTEN wird von etwas nicht Sichtbarem durchgebissen. Blut spritzt auf den weißen Stuhl und den weißen Pullover des THERAPEUTEN. Eine rote Blutlache ergießt sich auf den weiß lackierten Holzfußboden. Die letzten Körner der Sanduhr rieseln durch. Der PATIENT steht auf und verlässt das Szenario. Auf dem weißen Boden folgen ihm blutige Pfotenabdrücke eines Wolfes.


Rebekka Greifenberg, geboren 1988 im Ruhrgebiet, Waldorfschule, Internat, Abitur, FSJ, Au-Pair, Psychologie studiert. Nach Berlin gekommen, an der Charité und beim Filmcatering gearbeitet. Nach unten auf den Boden gestarrt und nach oben in die Sterne geguckt. Rebekka Greifenberg ist weder ausgezeichnet noch preisgekrönt und lebt und arbeitet in Braunschweig und Berlin.

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