Nora Lassahn: Ein Traditionszirkus auf Wundersuche

Nora Lassahn hat einen Text über einen Zirkus geschrieben, der wirkt wie ein Märchen. Es wird nicht klar, ob er eines sein soll. Lektorin Martina Wunderer spricht von lakonischer Ironie.

Ophelia tanzte so anmutig, dass sich selbst der traurigste Besucher daran erinnerte, dass das Leben eigentlich schön war.

nora lassahn

Der Text über den Familienzirkus erzählt von den Alonsos, die seit Generationen Artisten sind und jeder einzelne von ihnen hat spezielle Talente. Nur die junge Cosima probiert Verschiedenes aus, als Clown taugt sie nicht, also wird sie Zauberin. Und niemand kann sich so richtig erklären, wie es sein kann, dass sie aus Opas altem Zylinder nicht nur Stofftauben zieht, sondern Kraniche, Hühner und Wellensittiche. Diese Anekdote ist das eigentliche Wunder in dem Text – der magische Realismus – und auch das einzig Spannende und Neue.

Später im Text wird dann ein neuer Zirkusdirektor benannt, der hat Marketing studiert und kennt nur Worte wie »branden«, »digitalisieren«, »vermarkten«; doch spannender als die mysteriösen Vögel wird’s nicht, weil der Text fast ausschließlich aus Klischees und Phrasen besteht. Der Direktor wird etwa so beschrieben: »Er jammerte oft, denn Verantwortung zu tragen, ist sehr anstrengend.« Ein Satz, den man besser gestrichen hätte.

In einigen Teilen driftet die Erzählung ins Kitschige ab, spricht von »traurigsten Besuchern«, die an die Schönheit des Lebens erinnert werden. »Wagenmotoren donnerten der Zukunft entgegen«, heißt es an anderer Stelle – nur ein Beispiel dafür, wie die Sprache verkompliziert wird und dem Text sein Tempo nimmt. Der Spannungsbogen fehlt, es gibt keine Überraschungen, keine Wendungen, die Story ist sehr vorhersehbar. Die Idee, die Probleme eines klassischen Zirkus in der heutigen Zeit zu beschreiben, ist spannend und birgt viel Potential. Doch sie ist besser als der Text, der nun darauf wartet, überarbeitet und zu Literatur zu werden.

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