Im Internet lassen sich schnell Tipps für gute Übersetzungen finden. Im Grunde wird vor allem empfohlen, die Sprache des Quelltextes fließend zu beherrschen, die Zielsprache aber noch einen Ticken besser zu können und Ahnung vom kulturellen Kontext zu besitzen. Das Wissen, wie Übersetzungen funktionieren, hilft aber nicht beim Lesen von Sina Ahlers’ Text. Sie zeigt nämlich nicht das Original, sondern nur die Übersetzungen. Was wird hier übersetzt? Nun, das gibt Sina Ahlers nicht preis.
I. Zum Sterben laufe wir an Haltestellen, um uns vor einfahrenden Zügen zu werfen. Wir haben alle Regenjacken an. Wir nehmen die Hände in die Taschen und finden Streichholzschachteln. Wir schieben die Schachteln auf. Darin liegen Zetteln, auf denen Telefonnummern stehen, und letzte Zündhölzer.
Das ist schon eine Kunst, einen Text formal und inhaltlich kryptisch zu halten, und einen dennoch in den Sog zu ziehen. Es ist die frustrierte Erzählstimme, der man folgen möchte. Diese Stimme erschafft Bilder, die nicht trister und verzweifelter sein könnten. Gibt es Hoffnungsschimmer bei Sina Ahlers’ Erzählerin? Nein. Und was kann man dieser Erzählerin schon wünschen, die hier einen Staffellauf von einer Dystopie zur nächsten spannt?
Die einzelnen Absätze werden von einer Übersetzung zur nächsten länger, sie werden kühler, haben schnippische Nuancen. Und mit jeder Übersetzung wird es noch undeutlicher, was Sina Ahlers eigentlich zu sagen hat. Die Bilder verschwimmen.
Zwischen den verschwommenen Bildern bleiben: Langeweile gegenüber einer Generation, welche brav geworden ist. Der Versuch zu Erfrieren, und das dabei schon fast romantisch zu halten. Pissen. Gewalt. Ein Junge, der Kinder gebissen hat. Es schafft Atmosphäre, man ist inmitten ganzer Szenerien, und diese sind unbequem, sie sind nicht schön.
Und gleichzeitig möchte man bei einzelnen Sätzen stehenbleiben. »Eine exklusive Beziehung ist zum Davonschleichen«, oder »Großvater, von deinem Selbstmord 1972 ist noch heute etwas übrig«. Und ja, es ist hier in Ordnung, Sätze aus dem Kontext zu ziehen, denn so funktioniert letztlich Ahlers’ Dramaturgie: aus dem Kontext herausgebrochen, ohne Anweisung für die Zuhörenden.
I. Am Morgen habe ich große Sehnsucht danach, mich an einen Traum zu erinnern, von dem ich dir erzählen kann. Mir kommen die blauen Blumen in den Sinn, die gestern nah am See wuchsen. Die Angst, es könnte um Eisenhut handeln, und du in deiner Infantilerie ein paar Blüten schluckst. Um nicht zu lügen, schlafe ich noch mal ein und tauche nach einer wahren Begebenheit.
Fragen, die man Sina Ahlers gern stellen würde: Wird hier Depression übersetzt? Dürfen wir an einer auserzählten Szene teilhaben, ohne dabei aus dem Kontext geworfen zu werden? Und vor allem: Dürfen wir die Originale lesen?