Laudationes 2019 | Die Lektor*innen

Stellvertretend für die Lektor*innen des 27. open mike hielten Martina Wunderer und Günther Eisenhuber in diesem Jahr die kurze Ansprache an die Autor*innen, bevor es zur Preisvergabe ging. Günther Eisenhuber begann, Martina Wunderer übernahm in der Mitte.

Günther Eisenhuber

Liebe Autorinnen, liebe Autoren, liebe Freunde der Literatur,

ich weiß, die Frage, wer die Preisträger*innen sind, ist nicht ganz unwichtig. Aber bevor diese bekannt gegeben werden: Das war der 27. open mike.
Ich sage es im Namen der aller Lektorinnen und Lektoren der Vorjury, mit einer gewissen Erleichterung, mit einer Befriedigung und einer Zufriedenheit. Was wir seit gestern gehört haben, waren 22 Texte, die so unterschiedlich sind, wie es eben nur 22 literarische Texte sein können, bei denen sich jeder einzelne zu einer eigenen Auseinandersetzung lohnt.

Das war der 27. open mike, das heißt, es gibt auch einen 28., wie ich beruhigt feststelle, das heißt aber nicht – und das soll im Sinne einer Warnung verstanden werden –, dass wir aus den 22 Texten, die wir gehört haben, Verbindliches über den Zustand der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ableiten können.

Es waren 22 Texte von rund 600 Einreichungen und selbst diese 600 Einreichungen bilden nur wenig davon ab, worüber junge Autorinnen und Autoren in Deutschland, Österreich, Schweiz oder sonstwo in der Welt in deutscher Sprache literarisch nachdenken. Bei aller Vielfalt der Themen, der Inhalte, Formen, der Vielfalt der Lebenswirklichkeiten, aus denen erzählt wurde, muss man feststellen, was sich vielleicht auch von selbst versteht:

Literatur ist kein Selbstgewissheitsvollautomat, ist keine Parolenmaschine, sondern eine Methode der Selbstvergewisserung, die es einem erlaubt, in aller Offenheit und Ambivalenz über die eigene Position in der Welt nachzudenken.

In der analogen aber auch in der digitalen Welt, hier vor allem in der Lyrik, in der Gesellschaft, aber auch in Gemeinschaften – auffällig oft wurde zum Beispiel vom Dorfleben erzählt heuer – und nicht zuletzt in der Familie. Das ist – weil immer wieder danach gefragt wird – auch politisch, das geht nicht anders als politisch. Selbst wenn dieses Nachdenken in die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper zu einer Präsenz, zu einer Verwundung mündet.

Martina Wunderer

Dabei war natürlich auch auffällig, was in diesem Jahrgang nicht präsent war: Ich möchte nur die wenig dezidierten migrantischen, postmigrantischen und queeren Positionen nennen. Das war nicht nur in den 22 Texten so, das war schon in den 600 Einreichungen so.

Ich möchte das nicht nur an die Autorinnen und Autoren, sondern an uns alle als Appell verstehen, nochmal unseren Blick zu weiten, auch dorthin zu gehen, wo eben nicht nur Literatur zwischen Buchdeckeln stattfindet, in Magazinen oder im digitalen Raum, sondern im sozialen Raum, in der Nachbarschaftshilfe, oder auch in dem Deutsch-Rap, denn, wie auch Günther sagte, findet Literatur ganz woanders auch noch statt als hier, wie wir es verkörpern und vertreten. Und das ist auch gut so.

Das führt mich aber auch zu dem Punkt zu sagen, dass es sehr viele Texte gab, die ein »Ich« in dem Text installiert haben. Aber wie meine Kolleg*innen so stark betont haben, ist dieses »Ich« in den Texten auch eine Fiktion und nicht gleichzusetzen, wie immer geahnt, mit einem biographischen Ich. Und auch darin kann die Queerness und der Widerstand stattfinden.

Der Großteil der Texte wagt auch keine kühnen Formexperimente. Was sie aber doch alles auszeichnet, ist ein großes Formbewusstsein. Wir haben lyrische Texte gehört, die in die Prosa überkreuzen. Wir haben Prosatexte gehört, die in die Lyrik oder Dramatik überkreuzen. Wir haben Texte gehört, die aus dem Analogen ins Digitale verweisen und wieder zurück.

Und das alles zeigt, dass es eine große Freiheit gibt in den Texten. Dadurch haben wir letztlich überraschende Formen gefunden. Wir möchten damit mit dem Appell schließen, diese Freiheit zu bewahren. Und vor allem möchten wir mit einem Dank schließen an euch alle, die ihr den Mut hattet, eure Texte mit uns zu teilen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.