Mit der folgenden Keynote eröffnete Isabelle Lehn die Autor*innenworkshops im Vorfeld des 27. open mike.
Zu Beginn, dachte ich mir, ein paar Imperative:
13 Thesen zur Technik des Schriftstellers (frei nach Walter Benjamins »Ankleben verboten«)
- Schreibe niemals über dich – es sei denn aus Eitelkeit.
- Verrate deine Freunde nicht, indem du sie zum Teil eines Kunstwerks machst.
- Klaue nie bei dir selbst.
- Sei dein größter Fan. Schreibe dir selbst Rezensionen auf Amazon.
- Begreife dein Leben als essayistische Existenz, wenn dir die große Erzählung nicht liegt.
- Schreib mit der Axt für den „Engel im Hause“ in dir. Jeder Satz, den du schreibst, sei harte Splatterarbeit.
- Treibe auf keinen Fall Sport und sei so in dir ruhend wie Tschernobyl. Verzichte grundsätzlich auf Psychopharmaka. Wer kann schon schreiben, als glücklicher Mensch?
- Sei ausschweifend, schreib über die Ränder. Plane immer erst hinterher, um nicht zu früh von dir enttäuscht zu werden.
- Hör niemals auf zu schreiben, weil du für andere sonst unerträglich bist.
- Komm damit klar, dass auch dich Erfolg glücklich macht.
- Vertraue dich den Rissen an. Spür deinen Ahnungen nach, den dunklen Begierden. Schreibe nur, was nicht sicher, und nie, was nicht nötig ist. Sonst hast du bloß eine Seite gefüllt.
- Halte den Verzicht aus: Auf ein Leben, das du niemals führen wirst. Auf die Sätze, die du verwerfen musst.
Und dreizehntens – und die einzig wichtige Regel:
13. Unterwirf dich keinem Imperativ – außer dem infantilen: The artist must remain childlike, outside the categories of responsible adulthood. The childlike adult can recover the lost meaning. (James Wood)
Dreizehn Imperative, denen ihr misstrauen dürft. Und die ich trotzdem an den Anfang gestellt habe, weil wir uns manchmal so sehr wünschen, es gäbe 13 kompakte Thesen, die uns verraten, wie das eigentlich geht: Das Schreiben und das Leben damit.
Schreiben ist Arbeit. So viel erfahren wir schon einmal aus der Ankündigung zu dieser Autorinnenwerkstatt. Schreiben ist Schreiben, ist Überarbeiten, Verwerfen und Neuschreiben, Schreiben ist Weiterschreiben und vielleicht mal veröffentlicht werden, Schreiben ist Verlagssuche, Rückschläge aushalten, den Zugriff der Öffentlichkeit zulassen, Schreiben ist Mitspracherecht einräumen, festhalten und aus der Hand geben, Schreiben ist überleben, das Schreiben überleben oder mit dem Schreiben überleben, trotz des Schreibens überleben, Schreiben ist einen Plan B haben, der das Schreiben erst möglich macht, und einen Raum für das Schreiben verteidigen, Schreiben ist Rückzug und Rausgehen, Unterwegssein und das Nichtschreiben aushalten. Schreiben ist immer wieder am Anfang stehen, ohne Ahnung vom Schreiben, mit der Panik vorm Scheitern, den Zweifeln. Oder kürzer, um das alles zusammenzufassen: Schreiben ist Unsicherheit aushalten.
Wer schreibt, kann sich niemals sicher sein. Und deshalb seid ihr vermutlich auch hier, weil es ein paar schamanistische Rituale gibt, um dieser Unsicherheit zu begegnen.
Eines davon ist der Besuch einer Autorinnenwerkstatt, die einen bestenfalls mit einem Weiterso entlässt – allerdings auf die Gefahr hin, dass man von anderen bloß lernt, wie andere alles ganz anderes machen würden.
Oder: Man kann nach Imperativen Ausschau halten und der Autorin der Keynote dafür dankbar sein, dass sie heute vor euch steht und geradezu topisch an dieser Stelle erklärt: Ich habe den Open Mike damals nicht gewonnen. Und trotzdem darf ich heute hier sprechen.
Man kann das alles nicht so ernst nehmen. Man kann wissen, dass es Unsinn ist, wenn es heißt, der Open Mike sei ein Nadelöhr, durch das man gegangen sein muss, auf dem Weg zu literarischer Geltung.
Man kann dem Sammeln von Visitenkarten, einem eigenen Mythos des Wettbewerbs, mit Abgeklärtheit begegnen: Eine Visitenkarte ist eine Visitenkarte, ist eine Visitenkarte – und noch lange kein Vertrag.
Man kann sich zur Freiheit auffordern lassen – Schreibt doch endlich mal, was ihr wollt! Habt doch bitte Ecken und Kanten! – Zu Befehl, zu Befehl, kann man denken und sich so brav fühlen, wie man niemals auftreten dürfte, weil man doch jung sein soll und wild, ach so wild.
Man kann ignorieren, dass „die junge Literatin“ austauschbar ist, ein kleines Rädchen in der großen Maschine, die jedes Jahr aufs Neue anspringt.
Man kann versuchen, sich gefasst zu machen, sich bis an die Zähne bewaffnen, mit Ironie und Verachtung ausstatten.
Und trotzdem wird man antastbar bleiben. Man wird es nicht schaffen, das Schreiben und das Leben mit dem Schreiben völlig unter Kontrolle zu bringen. Und das zu wissen ist ein guter Anfang, finde ich. Denn dieses Wissen spart viel Energie.
Über meinem Schreibtisch hängt ein Zitat von Wolfgang Koeppen: Mein Ziel ist die Ziellosigkeit.
Mein Ziel ist es sicherlich nicht, wie Koeppen zu enden, der irgendwann gar nicht mehr schrieb. Aber dieser Satz soll mich daran erinnern, dass Schreiben niemals sicher sein darf. Das muss ich aushalten, die Angst vor dem Schreiben und dem Leben damit. Weil ich sonst nie etwas erfahren werde, was ich nicht vorher schon wusste.
Ziellosigkeit bedeutet also Ergebnisfreiheit – literarische Ergebnisfreiheit, aber auch in Hinblick auf materiellen Erfolg. Erfolg ist nicht planbar und kontrollierbar, und ich würde behaupten, dass man einem Text anmerkt, unter welchem Erfolgsdruck er geschrieben wurde.
Aber wie kann zielloses Schreiben funktionieren, ohne sich in Planlosigkeit zu verlieren? Und welche Überlebensstrategien gibt es, um sich vom finanziellen Erfolg des Schreibens nicht abhängig zu machen oder zumindest etwas Druck herauszunehmen? Ich glaube, dass es gut ist, auch noch andere Quellen für sein Seelenheil zu haben. Und dass es riskant ist, sein ganzes Glück vom Schreiben abhängig zu machen – auch wenn ich weiß, wie schwer das zu beherzigen ist, wenn man eigentlich nichts anderes will.
Und trotzdem: Auch der Betrieb und die eigene Rolle darin lassen sich nur schwer kontrollieren. Zum Beispiel habt ihr nur wenig Einfluss auf die Zeit, die es dauern wird, bis man eure Arbeit wahrnimmt. Wobei es durchaus hilfreich sein kann, wenn ein wenig Zeit vergeht, bevor der Erfolg sich einstellt. Weil man unterwegs viele gute Leute kennenlernen kann, die einem später vielleicht mal das materielle Überleben sichern. Und weil man Rückschläge sammeln kann, was ich natürlich niemandem wünsche. Aber: Überstandene Verletzungen machen eben auch weniger verwundbar und ein bisschen unabhängiger in dem, was man tut.
Vielleicht ist das eure größte Freiheit: Ihr könnt eigentlich gar nichts richtig machen. Ihr könnt aber auch gar nichts falsch machen. Ihr könnt alles richtig machen und trotzdem scheitern. Oder ihr macht alles falsch und habt die beste Zeit eures Lebens und guckt einfach mal, wo das hinführt. Und deshalb: Ihr könnt wirklich machen, was ihr wollt. Und das ist kein Imperativ, sondern ein Versprechen.
Ein Gedanke zu “Workshop: Keynote von Isabelle Lehn”