Wie immer bekommen die Lektor*innen vor der großen Preisverleihung noch einmal das Wort, um den Finalist*innen etwas mit auf den Weg zu geben. Dieses Jahr verliest open mike-Projektleiterin Saskia Warzecha das Statement von Katrin Kroll, Friederike Schilbach und Florian Welling.
Liebe Autorinnen und Autoren,
wir sind mit euch den Rissen, die das Leben verursachen kann, nachgegangen, haben die Welt nach dem großen Kollaps erkundet und das Queeroposcene eingeläutet. Wir waren mit Borges Eis essen, haben die dünne Linie zwischen Kaya Yanar und Dönerfleisch erkundet und versucht, uns von Licht zu ernähren. Wir sind mit Seegurken geschwommen, haben Morgenmorse empfangen. Wir waren Tiere auf der Suche nach Wasser, haben Mutter und Tochter Geld verdient und mit Thomas den Sonnengruß gemacht. Wir haben in einem Hotel Zuflucht gesucht, uns auf eine Wohnungsodyssee begeben, saßen mit Onkel und Möwe am Strand. Wir sind nach Afghanistan gereist, nach Tschernobyl, bis in eine Kälte ohne Schnee. Wir haben gelernt, wie man Nähe erzeugt, und wir wurden von Wortmüttern zusammengehalten.
Ihr habt uns mitgenommen in eure Welten, eure Schreibwelten, habt uns all das gegeben, euer Herz, eure Bilder, Gedanken. Dafür danke, ein tausendfaches, enormes Danke.
Der open mike war dieses Jahr herausfordernd, ganz besonders für euch. Ein open mike ohne Rascheln, Tuscheln, Applaus, und ohne direkte Resonanz, ohne die Aufregung, bevor man die Bühne in diesem Saal betritt, und die konzentrierte Energie im Raum, ohne Pausenplausch und Partys, ohne Zufallsbekanntschaften und inspirierende Begegnungen. Das ist irgendwie kein richtiger open mike.
Und irgendwie doch. Denn das Wichtigste am open mike, das seid und bleibt ihr. Ihr standet zwar nicht auf der Bühne des Heimathafens in Berlin, aber dafür war eure Bühne der Stream. Und diese Bühne habt ihr mit tollen Lesungen und Performances, mit klug komponierten Videos, klaren Stimmen, mit eurem ganz eigenen Sound und eurer Präsenz großartig ausgefüllt.
Ein Löffel Hühnersuppe, ein Löffel Haschisch, Öl, Tomatenmark und ein Löffel Mut, genau, Mut noch ganz wichtig. So hieß es bei Nail Doğan gestern in seinem seiner Gedichte, und das wünschen wir euch: Egal, ob ihr heute unter den Preisträger*innen seid oder nicht, bleibt waghalsig, bleibt mutig, schreibt weiter. Sucht euch eure Bühnen, die großen und die kleinen. Wir hören euch. Wir brauchen neue Stimmen. Gerade jetzt, wo die Welt, wie es Verena Güntner sagte, aufgerissen wie nie ist.
Und keine Sorge, wir warten auf euch. Wir warten darauf, euch im neuen Jahr persönlich kennenzulernen. Wenn die Pandemie uns mehr Freiraum gibt, werden wir euch feiern.