Philip Hart

Wann schreibst du am liebsten?
Wenn ich das was ich Schreibe auch gerade fühle. Zwar schreibe ich auch ohne das Gefühl, aber die Atmosphäre ist dann eher analytisch und kühl. Mir gefällt es, wenn ich genau dort bin wo meine Geschichte stattfindet und nicht von außen darauf schaue. Die Uhrzeit ist mir dabei relativ egal, wobei sich wohl einen gewissen Hang zum abendlichen Schreiben etabliert hat.
Wer liest deine Texte zuerst?
Immer jemand anderes. Meist Freunde.
Was bedeutet Literatur für dich?
Literatur ist Zauberei.
Was wäre, wenn dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Mir hat immer gefallen, dass man fürs Schreiben nur Papier und Stift braucht. Wenn ich diese Option nicht mehr hätte, würde ich wohl zu kostenaufwendigeren Ausdrucksformen wechseln müssen. Vielleicht würde ich Malen oder Filme drehen. Vielleicht hätte ich aber auch gar keine Lust mich mitzuteilen und würde meine Innenwelt nur noch beobachten, in sie eintauchen und die Verbindungen zur Außenwelt nach und nach kappen. Wer weiß…
Was würdest du anders machen, wenn du wüsstest, dass dich niemand beurteilt?
Wahrscheinlich kitschiger schreiben und weniger Überarbeiten. Ich bin für jedes Urteil (insbesondere die unsachlichen und emotionalen) dankbar und betrachte diese vorwiegend als Motivation. Entweder um genau so weiter zu machen oder um mich zu bessern. Ohne Urteile würde ich nur für mich selbst schreiben.
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
Surreal. Wild. Lebendig.
Erster Satz deines open-mike-Textes?
»Der Zaun will, dass du über ihn kletterst.«
Schon aufgeregt vorm Auftritt? Wie bereitest du dich vor?
Gerade geht’s noch. Ich find die Sache aktuell eher skurril. Man tippt ein paar Wörter auf dem Computer und plötzlich landet man irgendwo in Berlin und soll diese vorlesen. Ziemlich verrückt. Ich denke, wenn ich tatsächlich vor Ort sein werde, wenn ich die Anwesenheit der anderen Menschen spüre und die soziale Situation in der Wirklichkeit erlebe, werde ich bestimmt aufgeregt sein. Hoffentlich auf eine angenehme Weise. Wir werden sehen… Vorbereiten tu ich mich derzeit noch nicht wirklich. Ich hab den Text bisher einmal still gelesen. Vermutlich lese ich ihn nochmal laut und mit einer Stoppuhr daneben. Sollte ich zumindest …
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Mein Buchtipp richtet sich besonders an Diejenigen, die eine ungelesene Ausgabe von David Foster Wallace Unendlicher Spaß zuhause rumliegen haben und nie über die ersten 100 Seiten hinweggekommen sind. Probiert’s nochmal! Und wenn ihr es lest, versucht es nicht abzuarbeiten wie einen Seminarplan, lest es Seite für Seite, Satz für Satz. Das Buch ist wirkungsvoller als jede Achtsamkeitsübung. Eine literarische Meditation, wenn man sich darauf einlässt. Kann ich nur empfehlen.
Schick uns ein Bild von einem Ort oder Gegenstand, der dich zuletzt zum Schreiben animiert hat.
Anmerkung zum Bild: Hier sehen wir mich mit einem Schlauchboot in der Elbe, die ich im Sommer für ein paar Tage mit besagtem Boot bereist habe. Es war ein wilder Ritt. Und definitiv inspirierend.

Philip Hart, geboren 1994, hat nach seinem Abitur an diversen Filmsets gearbeitet, ein Journalismus-Studium begonnen. Derzeit absolviert er seinen Master in Philosophie und Literatur und betreut nebenbei taubblinde Menschen in ihrem Alltag. Er hat in den letzten Jahren einige Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften veröffentlicht und arbeitet aktuell am Manuskript seines Debütromans. Philip Hart wurde ausgewählt von Ralph Klever.
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Paul Jennerjahn

Wann schreibst du am liebsten?
Am Vormittag.
Wer liest deine Texte zuerst?
In der Regel M.
Was bedeutet Literatur für dich?
Hingabe an die Illusion, dass die Unsagbarkeiten der Welt sagbar, ihre Unzumutbarkeiten erträglicher würden, dass ich die Glasscheibe zwischen mir und der Welt zerlesen, zerschreiben könnte. Präzise dieses Glas zu finden und zu spüren, dagegenzustoßen, das heißt auf und gegen die eigene Brille zu stoßen, die eigenen blinden Flecken, die Verzerrungen und Abstumpfungen der eigenen Wahrnehmung, und dann noch ein anderes Sehen zu versuchen: diese Versuche sind vielleicht das, was mir Lesen und Schreiben bedeuten.
Was wäre, wenn dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Ich hoffe, dass im Kopf alles weiterginge. Zu schreiben ist auch eine Haltung zur Welt, denke ich, die mir hoffentlich nichts und niemand nimmt, selbst wenn ich nichts mehr zu Papier bringen können sollte. Ein schwacher Trost, aber immerhin.
Was würdest du anders machen, wenn du wüsstest, dass dich niemand beurteilt?
Vermutlich würde ich weniger zweifeln an allem, was ich schreibe. Paul Auster spricht in einem Essay vom »Dilemma, mit dem alle Schriftsteller [edit: Schriftsteller*innen] leben müssen: ewiger Zweifel, die Unfähigkeit, den Wert dessen einzuschätzen, was man selbst erschaffen hat.« Weil man die eigene Brille nicht absetzen kann, aber auch weil es so schwer ist, sich aus der Abhängigkeit von Beurteilenden zu emanzipieren. So funktioniert eben der Betrieb. Und ich bin ein weißer, heterosexueller cis-Mann, für mich sind die Barrieren vergleichsweise gering. Trotzdem ist da Zweifel im Angesicht der Öffentlichkeit, die einmal das beurteilen wird, an dem ich arbeite.
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
Ich weiß, die Aufregung und die Nervosität werden kommen, je näher die Lesung rückt. Im Moment sind da noch hauptsächlich Stolz über die Nominierung und Vorfreude.
Erster Vers deines open-mike-Textes?
wie viele waschungen: sünden
Schon aufgeregt vorm Auftritt? Wie bereitest du dich vor?
Die Aufregung kündigt sich an. Und ich habe begonnen, den Vortrag der Gedichte zu üben, laut zu lesen.
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Enorm gegenwärtig und sehr zu empfehlen ist das Werk der US-amerikanischen Dichterin Elizabeth Bishop, zum Beispiel in der 2018 erschienenen Übersetzung einer großen Auswahl von Gedichten Bishops von Steffen Popp. Bishop dichtet in der Mitte des 20. Jahrhunderts fast schon prophetisch zu großen politischen Fragen von uns Spätmodernen – Over-Tourism, Neokolonialismus, Raubbau an Natur und Umwelt – und all das in einer betörenden Musikalität und immer zunächst dem Visuellen verhaftet. Vor allem ihr dritter Gedichtband Questions of Travel, 1965 erschienen, formuliert eine extrem ambitionierte Verschränkung von Kunst und Politik.
Schick uns ein Bild von einem Ort oder Gegenstand, der dich zuletzt zum Schreiben animiert hat.

Paul Jennerjahn, geboren 1993 in Hamburg, studierte Germanistik und Sozialwissenschaften und arbeitete zunächst als Lehrer. Lebt als Autor in Köln und Hamburg und studiert Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2020 erhielt er den Friedrich Engels-Essay-Preis und für Auszüge aus seinem Romanmanuskript ein Stipendium der Jugend-Literaturwerkstatt Graz. 2021 wurde er mit dem Bad Godesberger Literaturpreis ausgezeichnet. Seine Erzählungen, Gedichte und Essays erscheinen in Zeitschriften und Anthologien, u.a. JENNY, KARUSSELL und BELLA triste. Paul Jennerjahn wurde ausgewählt von Piero Salabè.