4 Fragen an die Jury des 29. open mike

Am Sonntag wird die Jury des 29. open mike – bestehend aus Olga Martynova, Anja Utler und David Wagner – entscheiden, wer die Gewinner*innen des Wettbewerbs sind. Bis zu drei Preisträger*innen können sie bestimmen und Preise in Gesamthöhe von 7.500 Euro vergeben. Einer der Preise wird für Lyrik vergeben. Wir haben der Jury im Vorfeld vier Fragen gestellt.


Olga Martynova

Olga Martynova
Olga Martynova (© Daniel Jurjew)

Was wünschen Sie sich für die junge Literatur?
Darf ich drei Wünsche haben?
Dass ich auf etwas treffe, das ich gar nicht erwartet habe.  
Dass sie sich dem Zeitgeist nicht anpasst.
Dass es sie gibt.
Das Gleiche wünsche ich mir übrigens auch für die alte Literatur.

Worauf freuen Sie sich beim open mike 2021 am meisten?
Auf die Texte der Finalisten.
Auf die Gespräche mit den anderen Juroren.

Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen?
»Bewertung« ist womöglich nicht das optimale Wort. Es setzt Kriterien voraus. Und Kriterien sind im Falle der Kunst bereits Vorurteile. Ich werde irgendwie »vorgehen«, nachdem ich die Texte kennengelernt habe. Ich vertraue zwar meiner Intuition, anders geht es nicht, anders kann man auch eigene Texte nicht schreiben. Aber ich werde sehr darauf achten, dass ich mich auf meine Intuition und meine Erfahrung nicht zu sehr verlasse, dass ich über meine Vorstellungen hinaus wahrnehmen kann.
Erfahrungsgemäß finde ich immer mehr Texte preiswürdig, als es Preise gibt. Das heißt, dass ich höchstwahrscheinlich am Ende eine engere Auswahl für mich treffe, die dann noch enger werden muss. Also wird nach der anfänglichen Freude über die Texte das Vorgehen je weiter desto quälender.

Welchen Gegenstand möchten Sie am Wettbewerbswochenende auf keinen Fall missen und wieso?
Das Publikum (obwohl das natürlich kein Gegenstand ist). Es geht letztendlich um die open-mike-Finalisten. Ich wünsche ihnen so viele Reaktionen von allen Seiten wie nur möglich und hoffe sehr, dass alles offline und mit Publikum stattfindet.

Anja Utler

Anja Utler
Anja Utler (Foto: © Tom Langdon)

Was wünschen Sie sich für die junge Literatur?
Für die junge Literatur wünsche ich mir fordernde, waghalsige Leserïnnen. Solche, die sich mit Büchern gemeinsam auf Erkundungstour begeben und ausgiebig mit anderen über sie diskutieren wollen, die Irritation und Verunsicherung einer gepflegten Langeweile vorziehen. Solche Leserïnnen werden auch dazu beitragen, dass es für die Autorïnnen die zeitlichen und finanzellen Bedingungen gibt, diese Bücher zu schreiben.

Worauf freuen Sie sich beim open mike 2021 am meisten?
Ich sehe dem open mike gespannt und mit viel Neugier entgegen. »Freude« dagegen ist im Moment nicht meine dominante Emotion. Immerhin ist es für die Teilnehmerïnnen auch ein Wochenende mit einiger Aufregung und Anspannung. Sie gehen ein Risiko ein. Ich werde mich aber sehr freuen, wenn es uns gemeinsam gelungen ist, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der sich alle Anwesenden wohl und respektiert fühlen konnten, wenn wir als kooperativ gestimmte Jury zu einem Ergebnis gelangt sind, das wir gut vertreten können, und wir es auch noch geschafft haben, unsere Entscheidung nachvollziehbar zu begründen.

Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen?
»Interessiert mich das? Will ich weiterlesen?« – solche Fragen halte ich für einen ganz guten Startpunkt. Sie sollten aber flankiert sein von der Frage: »Ist da etwas in diesem Text, das für dieses (Nicht-)Wollen verantwortlich sein könnte, oder ist da nur ein Gespinst aus Vorurteilen und Gewohnheiten in mir, durch das der Text gar nicht richtig durchdringt zu mir?« Ein Indikator für Qualität scheint mir auch, wenn ein Text in mir nachhallt, in den Tagen nach der Lektüre selbstständig in meinen Alltag hineinfunkt. Und dann spielt für mich eine Rolle – und keine geringe – wie der Text sich anhört, wenn er auf der Bühne gesprochen wird; Laxheit in der Komposition, Ziellosigkeit in der Sprachgestaltung, das sind Dinge, die sehr schnell hörbar werden.

Welchen Gegenstand möchten Sie am Wettbewerbswochenende auf keinen Fall missen und wieso?
Einen Stift. Denn ein Leben ohne Stift ist zwar möglich, aber sinnlos.

David Wagner

David Wagner
David Wagner (Foto: © Linda Rosa Saal)

Was wünschen Sie sich für die junge Literatur? 
Dass sie mir etwas erzählt, was ich so noch nicht gehört, gelesen oder gesehen habe. Dass sie etwas mit Sprache macht, das mich überrascht oder beeindruckt. Dass sie nicht imitiert oder nachsingt. Dass sie nicht zu gewollt originell sein möchte. Dass sie mich nicht langweilt. Dass sie mich vielleicht aufregt? Dass sie mir gefällt.

Worauf freuen Sie sich beim open mike 2021 am meisten? 
Auf die Texte selbstverständlich. Und auf Menschen. Wobei ich mir heute, Montag, den 8.11.2021, dem Tag mit der bisher höchsten Inzidenz seit Pandemiebeginn, nicht mehr so sicher bin, ob wir uns tatsächlich in echt sehen werden.

Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen? 
Ganz ehrlich, ich weiß es noch nicht. Soll ich Punkte in verschiedenen Kategorien vergeben? Listen führen? Im Grunde aber verraten fast alle Texte ja sehr schnell ihre Tonart; sie verraten, wie wahr in sich und wie notwendig sie sind. Als Leser oder Leserin darf ich mich immer fragen: muss es diesen Text unbedingt geben? Zum Glück gehen die Meinungen darüber bei fast jedem Text auseinander…

Welchen Gegenstand möchten Sie am Wettbewerbswochenende auf keinen Fall missen und wieso? 
Maske. Mundschutz. Immer. Aus bekannten Gründen.

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