Julie Sophia Schöttner: Nachlass

Ein Nachlass, ein Erbe geht über das Materielle hinaus. Dieser Text zeigt einen Menschen, dem seine Herkunft abhandengekommen ist. Ob sie den verloren gegangenen Faden wieder auflesen soll, weiß sie nicht.

Trauer macht dumpf. Der Monotonie des Empfindens entspricht der zurückgenommene, einfache Hauptsatz-Stil von Julie Sophia Schöttner in ihrem Text Nachlass. Sie schildert darin einen Menschen, der eben seine Mutter verloren hat und dadurch aus der Bahn geworfen wird. Freunde versuchen, Beistand zu leisten, doch in dieser Ausnahmesituation kommt niemand an die Heldin heran. Durch die neuen Gegebenheiten erscheint die Welt in einem trostlosen Zustand.

Bisher habe ich noch nie im Flur gelegen, von hier aus sehe ich den Staub unter dem Schuhregal.

Ein überraschendes Ereignis treibt die Handlung voran: Im Adressbuch ihrer Mutter taucht die Telefonnummer ihres Vaters auf, von dem sie sich etliche Jahre vor ihrem Tod getrennt hatte. Seitdem ist dieser Mann aus dem Leben der Protagonistin verschwunden. Ob sie sich bei ihm melden soll? Sie überlegt hin und her, wird dazu ermutigt, will sich trauen, verwirft es wieder.

Die große Dringlichkeit des Themas lässt sich nicht an jedem Satz ablesen. Obwohl der Text sehr kurz ist, kommen verzichtbare Sätze vor. Die Orientierungslosigkeit der Heldin geht mit einer gewissen Ziellosigkeit der Sprache einher.

Ein Bild aus der Hand meines Vaters. Meine Mutter ganz jung, der Oberkörper nackt, sie liegt auf einer Picknickdecke und lacht in die Kamera, keine Ringe unter den Augen, und der Bauch eine Kugel darin: ich.

Gleichwohl überzeugt der intensive Blick in die Innenwelt einer ratlosen Person, weil der Text durch seine Glaubwürdigkeit Mitleid erzeugt. Das ist schon sehr viel.

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