Am Sonntag wird die Jury des 30. open mike – bestehend aus Zsuzsanna Gahse, Nadja Küchenmeister und Madame Nielsen – entscheiden, wer die Gewinner:innen des Wettbewerbs sind. Bis zu drei Preisträger:innen können sie bestimmen und Preise in Gesamthöhe von 7.500 Euro vergeben. Wir haben der Jury im Vorfeld vier Fragen gestellt.
Zsuzsanna Gahse
Der open mike feiert in diesem Jahr 30. Geburtstag – was erwarten Sie von dem Wochenende?
Das gute Haus in Berlin voller Poesie.
Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen?
Am liebsten sind mir Texte, die die eigene Gesetzmäßigkeit befolgen.
Welchen Tipp möchten Sie den Finalist:innen schon heute mit auf den Weg geben?
Die Texte in die Zeitbeize zu legen = Sie einige Tage in der Schublade ruhen lassen, bevor sie aus der Hand gegeben werden.
Was bedeutet Ihnen selbst das Schreiben?
Mein altes Motto ist: Es ist schön, das Schreiben. Das ist der erste Satz in meinem ersten Buch Zero.
Nadja Küchenmeister
Der open mike feiert in diesem Jahr 30. Geburtstag – was erwarten Sie von dem Wochenende?
Etwas wird passieren. Etwas, von dem ich jetzt noch nicht weiß. Ich erwarte, überrascht zu werden. Darauf freue ich mich.
Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen?
Wie ich auch bei der Bewertung eines Textes vorgehe, der nicht für einen Wettbewerb eingereicht wurde: Ich werde ihn aufmerksam und konzentriert lesen.
Welchen Tipp möchten Sie den Finalist:innen schon heute mit auf den Weg geben?
Dieser Wettbewerb ist ein Schritt von vielen. Der Preis ist eine wunderbare Ermutigung, aber so, wie Preise keine Bücher schreiben, verhindert auch umgekehrt die Tatsache, keinen Preis zu erhalten, keine Bücher.
Was bedeutet Ihnen selbst das Schreiben?
Manchmal denke ich: Schreiben, das gehört eben auch zu meinem Leben. Es ist wohl aber eher so, dass nahezu alles, was ich tue, mit dem Schreiben in Verbindung steht. Schreibe ich nicht – was ich oft tue –, bereitet sich das Schreiben vor. Schreibe ich aber doch, entsteht im besten Fall eine Art Deckungsgleichheit mit mir selbst, die eigene Sprache wird ein Gegenüber, das mit fremder Stimme antwortet.
Madame Nielsen
Der open mike feiert in diesem Jahr 30. Geburtstag – was erwarten Sie von dem Wochenende?
Ich werde ohne Erwartungen oder Vorstellungen in das Wochenende gehen. Ich war noch nie beim open mike oder überhaupt bei einem Literaturwettbewerb, so was gibt es in Dänemark gar nicht, ja, vielleicht Spoken Word-Wettbewerbe, aber Literatur-Wettbewerbe nicht. Und so werde ich wie das Kind »mit hängenden Armen« in das Wochenende gehen.
Wie planen Sie, bei der Bewertung der Finaltexte vorzugehen?
Das werde ich, prinzipiell und bewusst, nicht planen. Ich werde mich vorbehaltlos in die gegebenen Texte hineinstürzen, und aus dem gesamten Textmeer dann einen Bewertungsvorgang entstehen lassen. Ich habe in Kopenhagen an der dänischen Schreibakademie unterrichtet und eine gewisse Erfahrung mit Textlesen, Textanalyse und Textbewertung. Und ich will die Texte auch nicht in Genres – in »Prosa«, »Novelle«, »Romanfragment« oder »Lyrik« – einteilen, ich werde die Unterschiede in und zwischen den einzelnen Texten und den möglichen Gruppierungen aus der gesamten Textmasse, dem Textmeer, selbst heraustreten lassen. Für mich muss der einzelne Text absolut einzigartig werden und mich vor allem ins Wundern versetzen, ich muss mich über ihn wundern, mich in ihm entdecken, ehe ich überhaupt mit dem Einordnen und Bewerten anfange.
Welchen Tipp möchten Sie den Finalist:innen schon heute mit auf den Weg geben?
Dass sie sich überhaupt nicht um uns – die Jury – oder den Wettbewerb kümmern sollen, sie sollen auf keinen Fall strategisch schreiben, um irgendwelche Vorstellungen von »Literatur« oder was weiß ich zu erfüllen. Sie sollen genau den Text oder die Texte oder Nicht-Texte schreiben oder herstellen, die sie gut oder wunderlich oder aufregend oder erschreckend oder abscheulich oder oder finden, genau den Text, den diese Welt gerade jetzt und für immer braucht, oder im Gegensatz: genau den Text, den sie selbst und vielleicht nur sie gut oder seltsam finden.
Was bedeutet Ihnen selbst das Schreiben?
Alles. Ich weiß nicht, wie oder ob ich weiterleben könnte, ohne zu schreiben und zu lesen, ohne jeden Tag aufs Neue die Welt und alles, was es gibt und gab und geben wird, zu beschreiben und aus dem noch nicht erkennbaren und fassbaren, weil noch nicht formulierten formulierend hervorzuschreiben. Ich habe eine innere Berufung, die auch eine äußere, aus der Welt kommende Berufung und eine Besessenheit und eine Verdammung ist. Alles, was ich sehe und höre und erlebe und mir begegnet, und vor allem das, was mich bewegt, zu beschreiben, so dass es nie und nie verlorengehen und in Vergessenheit geraten, sondern für immer und ewig da sein wird. Da, leuchtend wie fallende faulgoldene Blätter in dem staubigen Licht einer Dämmerung, die langsam, unendlich langsam aus der Erde, aus den Parks und den Kopfsteinstraßen und den Hinterhöfen und Zwischenräumen und Friedhöfen und Leerstellen und dem sich endlos ausweitenden Bahndamm tief unter mir, die ich hier oben auf der Oberbaumbrücke wie versteinert staunend stehe mit meinen nackten mageren Händen auf dem von der späten Nachmittagssonne noch wärmestrahlenden Eisengeländer, hinaufsteigt …